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Bibel & Theologie

Wenn das Nein nicht mehr dem Ja dient

– ein Beitrag von Viktor:

„Zur Heiligung gehört fraglos Jesu Ruf weg von „der alten Welt“. „Sündige hinfort nicht mehr!“ (Joh 8,11). Zur Heiligung gehört das Wort des Paulus: „Laßt euch nicht dem ,Schema‘ dieses Äons gleichschalten!“ (Rom 12,2). Seid ja keine Konformisten! Gemeinde Jesu ist stets ein Stück „Anti-Gesellschaft“, „Protestgemeinschaft“, „Alternativgruppe“ – oder sie ist „dummes Salz“. Aber dieses „Weg von der Welt (= alter Äon)!“ hat Sinn und Tiefe, Verheißung und Freude nur in dem Ruf Jesu „Her zu mir! Folge mir nach!“ Bei aller Bekehrung begründet und trägt das Positive das Negative, das Ja das Nein, die Hinkehr die Abkehr. Das Positive gibt den Ton an: „Geschaffen zu guten Werken…“ „Verwandelt euch durch Erneuerung des Denkens“ (Rom 12,2). Tatsächlich wird jedoch Heiligung oft primär negativ als Vermeidung, als Unterlassung definiert. Dabei wird die „Welt“ oft nicht in ihrer wahrhaft abgründigen Tiefe (die Wurzelsünde, die in mir daheim ist!) erfasst, sondern in sehr vordergründigen Erscheinungen, die zudem oft von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wechseln. Eine gefährliche Verharmlosung! Aber das Nein muß dem Ja dienen. Wenn z.B. eine Blaukreuzgruppe nur die Abstinenz (den Verzicht auf den Alkohol) als Ziel hat, wird sie rasch gesetzlich und pharisäisch. Ist sie aber vom Ansatz her „Trinkerrettungsarbeit“, üben in ihr auch Nichtabhängige Verzicht aus (nicht auf) Freiheit um des Gefährdeten willen, dann hat sie Weite und Leuchtkraft. Wird das Wort „Welt“ zudem undifferenziert gebraucht, unterscheidet man nicht die Welt als Gottes gute Schöpfung von „Welt“ als gottfeindlichem Kollektiv, als „Schema“ des alten Äons, dann wird negative Heiligung muffig, kleinkariert, kultur- und bildungsfeindlich, apolitisch, oft auch nur dümmlich und altmodisch (wobei die heute „fromme“ Mode die „weltliche“ von vorgestern ist, und das nicht nur bei Textilien). Solche „geist-lose“ Heiligung ist niveau- und perspektivlos, banausenhaft und abstossend.[…] Ein Christ, der nicht sieht, wie etwa Bachs Kantaten und Oratorien Heiligung der Töne bedeuten, wie etwa Rembrandts biblische Gemälde Heiligung der Farben praktizieren, wie etwa Jeremias Gotthelfs Romane Heiligung der Wörter vollziehen, wie die „Systeme“ der großen Bibeltheologen (bei Paulus beginnend) Heiligung der Gedanken bewirken, – ein Christ, der all das nicht sieht oder sich dem bewusst verschließt, verdunkelt die Herrlichkeit (den „Lichtglanz“) seines Herrn.“

aus: Siegfried Kettling: Typisch evangelisch

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