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Leben als Christ

Gemeinsames Leben (5): Morgenandacht – das Psalmengebet

Laut Bonhoeffer enthält jede Andacht, auch am Morgen, drei Elemente:

Zu jeder gemeinsamen Andacht gehört das Wort der Schrift, das Lied der Kirche und das Gebet der Gemeinschaft. (S. 38)

Das Gebet verbindet Bonhoeffer dabei sehr eng mit den Psalmen. Er weist darauf hin, dass die Bibel dazu ermutigt, untereinander in Psalmen zu reden. Er führt daneben als weiteres Argument an, dass dem Psalmengebet in der Kirche bereits von alters her Bedeutung große beigemessen wurde. Im Gegensatz dazu beobachtet er schon damals:

Uns ist es weithin verloren gegangen, und wir müssen den Zugang zum Psalmengebet erst wieder zurückgewinnen. (S. 38)

Was zeichnet den Psalter aus? Bonhoeffer betont folgendes Merkmal:

Er ist Gottes Wort, und er ist zugleich, bis auf wenige Ausnahmen, Gebet des Menschen. (S. 38)

Bonhoeffer möchte den Gläubigen von „vagen, selbstsüchtigen Wünschen“ (S. 40) wegführen und von „heidnischem Geplapper“ (S. 43) befreien. Er will, dass wir lernen, uns nicht um uns selbst zu drehen im Gebet. Deshalb macht er das Wort Gottes nicht nur zum Ausgangspunkt, sondern zum Dreh- und Angelpunkt des Gebets. Die Psalmen helfen uns dabei, denn sie führen uns schnell an Grenzen, spätestens wenn wir auf die Unschulds- und Rachepsalmen stoßen. Aber diese Psalmen können wir doch nicht als unsere Gebete nachsprechen!? Wie löst Bonhoeffer dieses Problem?

Das Psalmengebet, das uns nicht über die Lippen will, vor dem wir stocken und uns entsetzen, läßt es uns ahnen, daß hier ein Anderer der Beter ist, als wir selbst, daß der, der hier seine Unschuld beteuert, der Gottes Gericht herbeiruft, der in so unendlich tiefes Leiden gekommen ist, kein anderer ist – als Jesus Christus selbst. […] Der Mensch Jesus Christus […] betet im Psalter durch den Mund seiner Gemeinde. (S. 39)

Weil uns „der betende Christus“ (S. 39) in den Psalmen begegnet, sind sie für Bonhoeffer Gebet des Menschen und zugleich Gottes Wort. Das löst das Dilemma:

Seine Gemeinde betet auch, ja, auch der Einzelne betet, aber er betet eben, sofern Christus in ihm betet, er betet hier nicht im eigenen Namen, sondern im Namen Jesu Christi. (S. 39f.)

Es ist Christus, der betet, wir beten nur mit. Interessant fand ich auch den Verweis Bonhoeffers auf einen Ausleger, der den ganzen Psalter den sieben Bitten des Vaterunsers zuordnet und damit ebenfalls unterstreicht, dass die Psalmen das Gebet von Jesus Christus sind (vgl. S. 42f.). Bonhoeffer zieht aus den Psalmen als der „große[n] Schule des Betens überhaupt“ (S. 40) drei Schlüsse:

(1) Wir lernen in den Psalmen, auf der Grundlage des Wortes Gottes, auf Grund von Verheißungen zu beten.

Christliches Gebet steht auf dem festen Grunde des offenbarten Wortes […]. Auf Grund des Gebetes des wahren Menschen Jesus Christus beten wir. Das meint die Schrift, wenn sie sagt, daß der heilige Geist in uns und für uns betet (S. 40)

(2) Wir lernen, was wir beten sollen. Bonhoeffer ist sich bewusst, dass das Psalmengebet „weit über das Maß der Erfahrung des Einzelnen hinausgeht“ (S. 40), dennoch sollen wir das ganze Christusgebet im Glauben sprechen:

Dürfen wir also die Rachepsalmen beten? Wir, insofern wir Sünder sind und mit dem Rachegebet böse Gedanken verbinden, dürfen es nicht, aber wir, sofern Christus in uns ist, der alle Rache Gottes auf sich selbst nimmt, den Gottes Rache traf an unserer Stelle […] – wir als Glieder dieses Jesus Christus dürfen auch diese Psalmen beten – durch Jesus Christus, aus dem Herzen Jesu Christi. (S. 41)

(3) Wir lernen, als Gemeinschaft zu beten. Diesen Aspekt, den Bonhoeffer herausarbeitet, finde ich besonders hilfreich beim Beten der Psalmen. Er zeigt auch, warum die Psalmen in die Gemeinschaft gehören (da hat uns die evangelisch-lutherische Kirche etwas voraus, denn das Psalmengebet der Gemeinde ist fester Bestandteil des Gottesdienstes):

Der Leib Christi betet, und als Einzelner erkenne ich, wie mein Gebet nur ein kleinster Bruchteil des ganzen Gebetes der Gemeinde ist. Ich lerne das Gebet des Leibes Christi mitbeten. Das hebt mich über meine persönlichen Anliegen hinaus und läßt mich selbstlos beten. (S. 42, eigene Hervorhebung)

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