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Leben als Christ

Gemeinsames Leben (10): Alleinsein als Grundlage der Gemeinschaft

Seit fast einem Jahr schreibe ich immer wieder über Dietrich Bonhoeffers “Gemeinsames Leben”. Bonhoeffer definiert zunächst die Grundlage christlicher Gemeinschaft und zeigt, woran eine christliche Gemeinschaft letztlich zerbricht und welches Grundübel daran schuld ist. Im zweiten Kapitel beschreibt er den gemeinsamen Tag, der mit einer gemeinsamen Morgenandacht beginnt, zu der er SchriftlesungPsalmengebet, das gemeinsame Lied sowie das gemeinsame Gebet zählt.

Im dritten Kapitel geht er auf den einsamen Tag ein. Der Gemeinschaft wird „Schaden entstehen“ (S. 65), der gemeinsame Tag wird „unfruchtbar bleiben“ (S. 66), wenn der Gläubige nicht Zeiten der Einsamkeit, d.h. des Alleinseins mit Gott hat:

 Christen, die nicht allein mit sich fertig werden können, […] hoffen in der Gemeinschaft anderer Menschen Hilfe zu erfahren. Meist werden sie enttäuscht und machen dann der Gemeinschaft zum Vorwurf, was ihre eigenste Schuld ist. (S. 65)

Bonhoeffer bringt es auf folgende Formel:

Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein. (S. 66)

Beide Aussagen gehören zusammen und müssen betont werden, denn

Jedes für sich genommen hat tiefe Abgründe und Gefahren. Wer Gemeinschaft will ohne Alleinsein, der stürzt in die Leere der Worte und Gefühle, wer Alleinsein sucht ohne Gemeinschaft, der kommt im Abgrund der Eitelkeit, Selbstvernarrtheit und Verzweiflung um. (ebd.)

Was versteht Bonhoeffer unter der Einsamkeit? Er identifiziert das Schweigen als das Merkmal der Einsamkeit. Jedoch darf dieses nicht als „mystisches Über-das-Wort-hinauswollen“ (S. 67), sondern „in seiner wesenhaften Beziehung auf das Wort“ [Gottes] verstanden werden. Es geht um die „schlichte Begegnung mit dem Wort Gottes“ (S. 69). Bonhoeffer nennt dies die Meditationszeit (wobei ihm an diesem Wort nicht viel liegt), die vor allem durch die Schriftbetrachtung bestimmt wird. Vielleicht würden wir von Stiller Zeit sprechen. Durch die enge Bindung an das Wort Gottes bekommt diese Zeit bei Bonhoeffer ein Fundament und bewahrt vor falschen Erwartungen, die wir oft an unsere sog. Stille Zeit stellen. Deshalb sind folgende Hinweise Bonhoeffers von großem Wert für die persönliche Stille Zeit (oder wie auch immer man es nennt):

  • Es ist nicht nötig, daß wir in der Meditation neue Gedanken finden. Dass lenkt uns oft nur ab und befriedigt unsere Eitelkeit. (S. 71)
  • Es ist vor allem nicht nötig, daß wir bei der Meditation irgendwelche unerwarteten, außergewöhnlichen Erfahrungen machen. Das kann so sein, ist es aber nicht so, so ist das kein Zeichen einer vergeblichen Meditationszeit. (ebd.)
  • Zur Selbstbeobachtung aber ist in der Meditation ebenso wenig Zeit wie im christlichen Leben überhaupt. Auf das Wort allein sollen wir achten, und alles seiner Wirksamkeit anheimstellen. Kann es denn nicht sein, daß Gott uns selbst die Stunden der Leere und Dürre schickt, damit wir wieder alles von seinem Wort erwarten? (S. 72)

Bonhoeffer fasst in Anlehnung an Thomas a Kempis die Grundregel aller Meditation bzw. der persönlichen Stillen Zeit zusammen:

Suche Gott, nicht Freude. […] Suchst du Gott allein, so wirst du Freude empfangen

Diese Hinweise Bonhoeffers sind sehr wertvoll. Ich selbst habe es auch lernen müssen (und muss es noch), von der Stillen Zeit nicht mehr als die Begegnung mit dem Wort Gottes zu verlangen und in der Stillen Zeit mich nicht um mich selbst zu drehen. Aber interessanterweise findet man gerade auf diesem Weg den richtigen Blick auf sich selbst und dann auch auf den Bruder und die Gemeinschaft in der man steht.

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