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Jörg Lauster über Jean Pauls „Rede des toten Christus“

Vor einiger Zeit bin ich in diesem Beitrag auf Jean Pauls Rede des toten Christus eingegangen. Dort habe ich die Frage aufgeworfen, ob „der angeführte Abschluss der Erzählung als aufrichtige Dankbarkeit für den Himmlischen Vater zu verstehen [ist]? Oder geht es darum, dass der Glaube das Beste ist, was uns in dieser vergänglichen und kurzflügeligen Welt passieren kann, wenn er sich auch nachher als Illusion erweist?“

Jörg Lauster schreibt dazu in Die Verzauberung der Welt:

Viele Denker tasteten sich vorsichtig an den Atheismus heran, sie behandelten ihn wie ein Gedankenexperiment. Bemerkenswert ist Jean Pauls (1763-1825) Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei, weil Jean Paul hier den Atheismus literarisch durchspielt, um ihn zu verwerfen. Dem schlafenden Protagonisten des Romans Siebenkäs erscheint der tote Christus im Traum und spricht:

Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. Ich stieg herab, soweit das Sein seine Schatten wirft, und schaute in den Abgrund und rief: „Vater, wo bist du?“ Aber ich hörte nur den ewigen Sturm, den niemand regiert. […] Da kamen, schrecklich für das Herz, die gestorbenen Kinder, die im Gottesacker erwacht waren […] und sagten: „Jesus! haben wir keinen Vater?“ – Und er antwortete mit strömenden Tränen: „Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.“

Die Welt ohne Gott entpuppt sich zum Glück des Protagonisten als ein Albtraum, er erwacht, und seine „Seele weinte vor Freude, daß sie wieder Gott anbeten könnte“: „Und zwischen dem Himmel und der Erde streckte eine frohe vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus und lebte, wie ich, vor dem unendlichen Vater.“ Jean Paul führte diese grandiose Vision einer gottlosen Welt ein, um sich ihrer unerträglichen Trostlosigkeit zu versichern:

Das ganze geistige Universum wird durch die Hand des Atheismus zersprengt und zerschlagen in zahlenlose quecksilberne Punkte von Ichs, welche blinken, rinnen, irren, zusammen und auseinander fliehen, ohne Einheit und Bestand. Niemand ist im All so sehr allein als ein Gottesleugner.

Jörg Lausters Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums kann hier kostengünstig erworben werden. Ron Kubsch hat das Buch hier besprochen.

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