Seit Anfang April habe ich immer wieder über Dietrich Bonhoeffers „Gemeinsames Leben“ gebloggt. Bonhoeffer definiert zunächst die Grundlage christlicher Gemeinschaft und zeigt, woran eine christliche Gemeinschaft letztlich zerbricht und welches Grundübel daran schuld ist. Im zweiten Kapitel beschreibt er den gemeinsamen Tag, der mit einer gemeinsamen Morgenandacht beginnt, zu der als drittes Element neben der Schriftlesung und dem Psalmengebet auch das gemeinsame Lied tritt.
Wie bei den anderen Elementen geht es Bonhoeffer vor allem darum, das gemeinsame Lied strikt auf das Wort Gottes zu fokussieren:
Unser irdisches Lied ist gebunden an Gottes Offenbarungswort in Jesus Christus. Es ist das schlichte Lied der Kinder dieser Erde. Es ist das schlichte Lied der Kinder dieser Erde, die zu Gottes Kindern gerufen sind, nicht ekstatisch, nicht entrückt, sondern nüchtern, dankbar, andächtig auf Gottes offenbartes Wort gerichtet. […] So steht das musikalische ganz im Dienst des Wortes. Es verdeutlicht es in seiner Unbegreiflichkeit. (S. 50f.)
Äußerst interessant ist der Schluss, den Bonhoeffer daraus zieht:
Weil ganz ans Wort gebunden, darum ist das gottesdienstliche Lied der Gemeinde, besonders der Hausgemeinde wesentlich einstimmiges Lied. (S. 51)
Ich kann Bonhoeffers Schluss nachvollziehen. Es geht ihm darum, zu verhindern, dass der Musik „ein Eigenrecht neben dem Worte“ verliehen wird. Es ist nicht schwer, aktuelle Beispiele dafür zu finden. Dennoch glaube ich, dass er hier zu weit geht. Ich musste schmunzeln, wie er nun für das einstimmige Singen eintritt und gegen die „Feinde des einstimmigen Singens“ ankämpft, die man „mit aller Rigorosität ausmerzen muß“ (gut festhalten):
Da ist zuerst die improvisierte zweite Stimme, der man fast überall begegnet, wo gemeinsam gesungen werden soll. Sie will dem schwebenden einstimmigen Ton den notwendigen Untergrund, die vermisste Fülle geben und tötet dabei Wort und Ton. Da ist der Baß oder der Alt, der alle Mitsingenden darauf aufmerksam machen muß, daß er über einen erstaunlichen Tonumfang verfügt und daher jedes Lied eine Oktave tiefer singen muß. Da ist die Solistenstimme, die breit und aus voller Brust schmetternd, schwelgend, tremolierend alles andere übertönt zur Ehre des eigenen schönen Organs. (S. 51f.)
Auch wenn ich Bonhoeffers Kritik hier nicht ganz teile, bin ich überzeugt, dass der einstimmige Gesang tatsächlich nicht verachtet werden sollte und ihm immer wieder Raum gegeben werden sollte. Denn gerade in Gemeinschaften, wo man nicht als Chor zusammenkommt oder nicht alle Stimmen relativ gleich verteilt sind, können diese o.g. „Störfälle“ leicht auftreten und die Gemeinschaft schnell vom gesungenen Wort ablenken. Konkret: In den Hauskreisen, Jugendgruppen (Insider: vor allem am Freitag) und mit der ganzen Gemeinde sollte immer wieder ermutigt werden, auch mal einstimmig zu singen! Außerdem stimmt es, dass
das einstimmige Singen [uns] selbst bei viel musikalischer Unzulänglichkeit […] die Freude geben [kann], die ihm allein eigen ist. (S. 52)
Weiterhin schlägt Bonhoeffer die reformatorischen Choräle als Übung zum einstimmigen Singen vor. Allerdings verwirft er jeden „Doktrinarismus auf diesem Gebiete“ (d.h. das nur Choräle gesungen werden sollten) und ermutigt, einen „reichen Schatz von Liedern frei und auswendig singen zu können“.
Wann sollte gesungen werden?
Aber nicht nur in den Andachten, sondern zu regelmäßigen Zeiten des Tages oder der Woche soll der Gesang geübt werden. Je mehr wir singen, desto größer wird unsere Freude daran […]. (S. 52)
Dies ließe sich z.B. bei Tischgemeinschaften umsetzen. Es geht Bonhoeffer hier nicht um das Singen alleine (ob im Auto oder in der Dusche…), sondern um das gemeinsame Singen: „Nicht ich singe, sondern die Kirche singt.“ (S. 52)
Na denn, setzen wir es doch in unseren Familien um!