Vor drei Wochen fand vom 27. bis zum 29. April die 7. Evangelium21-Konfernz in der Arche-Gemeinde in Hamburg statt. Über die Konferenz an sich wurde bereits berichtet: Ron Kubsch hat bei Theoblog darüber geschrieben, Hanniel Strebel hat ausführlich berichtet und auch bei der Gospel Coalition ist eine Zusammenfassung erschienen. Ich persönlich bin auch sehr dankbar, dass ich bei der Konferenz dabei war, herausgefordert und ermutigt wurde.
Michael Martens hat über das Thema „Persönliche Reformation“ gesprochen und, wie ich finde, einige sehr wichtige Dinge deutlich gemacht, über die ich hier berichten möchte. Predigtgrundlage war das Gebet von Paulus in Philipper 1, 7-9:
7 So ist es für mich recht, dass ich dies im Blick auf euch alle denke, weil ich euch im Herzen habe und sowohl in meinen Fesseln als auch in der Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums ihr alle meine Mitteilhaber der Gnade seid.
8 Denn Gott ist mein Zeuge, wie ich mich nach euch allen sehne mit der herzlichen Liebe Christi Jesu.
9 Und um dieses bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überreich werde in Erkenntnis und aller Einsicht
(1) Der Kontext des Gebets
Martens macht deutlich, dass nachdem Paulus die Philipper (die erste europäische Gemeinde) begrüßt hat, er Gott für die Gemeinde dankt und seine Zuversicht zum Ausdruck bringt, dass Gott das Werk vollenden wird (V.6). Martens erinnert an Lydia, die sich in Philippi bekehrt hat und von der es heißt, dass ihr Herz „geöffnet“ wurde (Apg.16). Gott war also derjenige, der das Werk begonnen hat (Sola Gratia), wie Paulus das ja auch im Philipperbrief deutlich macht. Auch der Kerkermeister aus Philippi könnte dabei gewesen sein. Dem hatte Paulus auf seine Frage, was er denn tun müsse um gerettet zu werden, gesagt, dass er an den Herrn Jesus glauben muss (Sola Fide) – von Werken hat Paulus nicht gesprochen.
Gott beginnt also das Werk aus Gnade durch den Glauben. Aber wer vollendet? Manchmal leben und handeln wir so, als müssten wir das Werk vollenden. Paulus sieht das anders: Die Zuversicht von Paulus liegt nicht in den Werken der Philipper (für die er ohne Frage dankbar ist), sondern in dem Wirken Gottes. Wir stehen gerechtfertigt vor Gott und werden durch ihn Christus ähnlicher gemacht – bis das Werk am Tag Christi vollendet ist.
(2) Das Gebet von Paulus: Erkenntnis und Liebe
Martens fragt uns, wofür wir beten (auch wenn wir füreinander z.B. in der Gemeinde beten). Oft geht es um Lebensumstände, wirtschaftliche Fragen und wie uns Menschen behandeln. Das finden wir bei Paulus nicht: Paulus betet für persönliche Reformation. Er betet darum, dass die Liebe überströmt in Erkenntnis und Einsicht. Wie ist da der Zusammenhang? Johannes sagt, dass wir Gott lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. Es geht um Gotteserkenntnis, die sich im praktischen Leben zeigt; um Einsicht, wie ich konkret handeln soll. Liebe, Erkenntnis und Denken gehören bei Gott eng zusammen: Jesus spricht davon, Gott mit dem Denken zu lieben (Mt.22). Hier weist Martens darauf hin, dass derjenige, dem wir am meisten vertrauen, bestimmt, was wahr ist: Das muss Gott sein, der durch sein Wort spricht (Sola Scriptura). Unsere Haltung zu Gott und unsere Gotteserkenntnis sind voneinander abhängig. Gotteserkenntnis ist keine intellektuelle Übung, sondern hat mit unserer Haltung zu Gott und unserem Glauben zu tun.
Was bedeutet das praktisch? Hier nimmt uns Martens mit in den Jakobusbrief. Jakobus spricht im ersten Kapitel von Anfechtungen, die den Glauben stärken sollen und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Gott gerne demjenigen Weisheit gibt, der ihn bittet. Ist das eine Verheißung? Ja, allerdings ist sie daran gekoppelt, dass wir nicht im Zweifel beten. Mit „Zweifel“ meint Jakobus ein geteiltes Herz (griechisch: zwei Seelen), das nicht voll auf Gott ausgerichtet ist. Die Frage lautet also: Bei wem ist meine Loyalität? Wenn wir vollkommen auf Gott ausgerichtet sind, dann gilt die Verheißung – sie hängt vom ungeteilten Herzen ab. Martens führt als Beispiel Eltern an, die Weisheit für die Kindererziehung haben möchten. Die entscheidende Frage lautet nun, worum es den Eltern wirklich geht: Wollen sie ihre Kinder aus Liebe zu Gott für Gott erziehen, oder ist es ihnen vielleicht einfach nur peinlich, wie sich ihre Kinder aufführen? Jeder muss sich da persönlich fragen, was ihm wichtiger sein könnte als Gott. Es kann passieren, dass wir bibeltreue Überzeugungen haben, uns dann aber Umstände begegnen, die uns dazu bringen diese zu „überdenken“. Wenn es jemand z.B. im Theologiestudium nicht ertragen kann, von anderen belächelt zu werden, weil er oder sie glaubt, die Bibel sei tatsächlich das von Gott inspirierte unfehlbare Wort Gottes. Dann geben wir unsere Überzeugungen für unser Wohlbefinden auf – und sind nicht mehr ganz auf Gott ausgerichtet.
(3) Das Beste für unseren Gott
Oft denken wir, so Martens, in Kategorien von schlecht und gut. Allerdings müssen wir uns manchmal vielleicht zwischen gut und besser entscheiden. Wir sind z.B. traditionell – das ist doch gut, oder? Wir haben dieses und jenes schon lange so gemacht. Aber vielleicht hat Gott etwas Besseres vor? Ein anderes Beispiel ist soziales Engagement in der Stadt. Das ist doch gut, oder? Ja! Aber wenn soziales Engagement die Verkündigung ersetzt und nicht „nur“ Ausdruck des Evangeliums ist, dann verfolgen wir das Gute, nicht aber das Beste. Bei sozialem Engagement (im Gegensatz zur Wortverkündigung) bekommen wir vielleicht Bestätigung von unserer Stadt, aber deshalb dürfen wir die Verkündigung ja nicht aufgeben.
Um schwierige Entscheidungen richtig treffen zu können, muss unser Herz stimmen. Manchmal stehen Missionare vor schwierigen Entscheidungen und fragen sich in Zeiten der Anfechtung, ob sie bleiben sollen oder nicht. Da kommt auf das Herz an: Will man weg, weil es zu stressig ist? Bleibt man, weil man Angst hat, die Gemeinde hält einen für einen Versager? Derartige Entscheidungen sind demnach äußerst vielschichtig und ohne die richtige Herzenshaltung Gott gegenüber, kann man sich gar nicht wirklich für das Beste entscheiden. Jesus hat das Beste getan, auch wenn es schwer war. Manchmal entscheiden wir uns für das Gute, weil das Beste schmerzen würde – das darf nicht sein.
Martens hat zu einer „Egalhaltung“ aufgerufen: Es ist egal, was die Leute sagen, es geht darum, was Gott möchte. Das kann in Beziehungen ganz praktisch werden: Wir alle haben Erwartungen von Anderen (Eltern, Freunde, Gemeinde) und manchmal haben wir Angst, wie die Anderen in gewissen Situationen reagieren werden, wenn wir sie mit der Wahrheit Gottes – dem Besten – konfrontieren. Wenn allerdings die gefühlte Liebe zu anderen nicht das Beste in Gottes Augen ist, dann ist es Pseudo-Liebe. Es ist Lieblosigkeit gegenüber Gott und auch gegenüber dem Nächsten. Die „Egalhaltung“ ist auch für die Predigtvorbereitung wichtig: Wenn wir Gott um Verständnis für den Text bitten, dann muss uns das, was unsere Zuhörer über uns denken (werden), egal sein.
In Philipper 2 wird Jesus beschrieben, dem es „egal“ war, was die Menschen mit ihm machten: Jesus hat den Willen des Vaters erfüllt. Paulus betet, dass unsere Liebe und Erkenntnis immer weiterwachsen, sodass wir jetzt schon Jesus immer ähnlicher werden – bis das Werk am Tag Christi vollendet ist. Dafür betet Paulus. Dafür sollten wir beten. Martens stellt abschließend folgende herausfordernde Frage: Kann unsere Liebe gegenüber den Menschen, die wir lieben, intensiver sein als unser Gebet für sie?
Den Tag Christi im Blick und mit dem Wissen, dass Gott es vollbringt, soll durch persönliche Reformation Ehre für Gott und Segen für andere entstehen. Gott wirkt es durch Christus (Solus Christus) zu seiner Ehre: Soli Deo Gloria.