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Gemeinde

Wo sind die Hirten der Gemeinde?

Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinem Buch Nachfolge über Mt. 9,35-38:

Der Anblick der Volksmenge, der in seinen Jüngern vielleicht Widerwillen, Zorn oder Verachtung erregte, erfüllte Jesu Herz mit tiefem Erbarmen und Jammer. Kein Vorwurf, keine Anklage! Gottes liebes Volk lag mißhandelt am Boden, und die Schuld daran traf die, die an ihm den Dienst Gottes versehen sollten. Nicht die Römer hatten das angerichtet, sondern der Mißbrauch des Wortes Gottes durch die berufenen Diener am Wort. Es waren keine Hirten mehr da! Eine Herde, die nicht zum frischen Wasser geführt wird, deren Durst ungestillt bleibt, Schafe, die kein Hirte vor dem Wolf mehr schützt, geschunden und verwundet, erschreckt und verängstigt unter dem harten Stab ihrer Hirten, am Boden liegend – so fand Jesus Gottes Volk vor. Fragen, aber keine Antwort, Not, aber keine Hilfe, Gewissensangst, aber keine Befreiung, Tränen, aber kein Trost, Sünde, aber keine Vergebung! Wo war der gute Hirte, den dieses Volk brauchte? Was half es hier, daß da Schriftgelehrte waren, die das Volk mit hartem Zwang in die Schulen trieben, daß die Gesetzeseiferer die Sünder hart verurteilten ohne ihnen zu helfen, was halfen da selbst die rechtgläubigsten Prediger und Ausleger des Wortes Gottes, wenn nicht das ganze Erbarmen und der ganze Jammer über das mißbrauchte und mißhandelte Volk Gottes sie erfüllte? Was sind Schriftgelehrte, Gesetzesfromme, Prediger, wenn die Hirten der Gemeinde fehlen? Gute Hirten, „Pastoren“, braucht die Herde. „Weide meine Lämmer!“ ist der letzte Auftrag Jesu an Petrus. Der gute Hirte kämpft für seine Herde gegen den Wolf, der gute Hirte flieht nicht, sondern gibt sein Leben für die Schafe. Er kennt alle seine Schafe bei Namen und liebt sie. Er weiß ihre Not, ihre Schwachheit. Er heilt, was verwundet ist, er tränkt, was durstig ist, er richtet auf, was fallen will. Er weidet sie mit Freundlichkeit und nicht mit Härte. Er leitet sie auf den rechten Weg. Er sucht das eine verlorene Schaf und bringt es zurück zur Herde. Die bösen Hirten aber herrschen mit Gewalt, sie vergessen ihre Herde und suchen die eigne Sache. Gute Hirten sucht Jesus, und siehe da, es sind keine zu finden.

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