In Philipper 2,12f. findet sich eine paulinische Aussage von hoher theologischer Kraft und Tragweite: „Schaffet eure Rettung (soteria) mit Furcht und Zittern, denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ Da ist zuerst ein Imperativ, der allen Synergismus weit überbietet, geradezu „monergistisch“ lautet: Ihr Menschen, eure Seligkeit zu schaffen, ist eure Sache, da seid ihr dran! Den Abschluß bildet ein Aussagesatz, eine Feststellung, die ebenso „monergistisch“ alles – Wollen wie Vollbringen – als Gottes Werk sieht. Beides aber wird nicht als Paradox nebeneinandergestellt, sondern verknüpft durch das begründende „denn“ (das ätiologische „gar“). Weil Gott alles tut, so tut ihr nun das Ganze! Man kann das nur so verstehen, daß Gottes Tun unser Werk dimensional umgreift, all unser Denken, Fühlen, Tun, Wollen, Entscheiden sowie die vor- und unbewußten Wurzeln von all dem durchdringt, durchtränkt, durchpulst, – „durchgeistet“. Die Tragweite, die exemplarische Bedeutung dieses Satzes kann man schwer überschätzen.
Hier ist vermittelt, was zwischen Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft strittig erscheinen könnte: „Gott spricht“ – „Und die Erde bringe hervor!“ Das (scheinbar „autonome“) Hervorbringen seitens der „Natur“ ist umgriffen, durchatmet von dem Schöpferwort Gottes.
Hier ist auch Hilfe für das Verständnis der Inspiration der Schrift: Der Römerbrief ist ganz Wort des Paulus, dieses aber ist in jeder Silbe durchgeistet, durchwaltet, hervorgebracht durch Gott.
– Auch für unsere Frage nach Gottes alleinigem Tun und unserem Dabeisein bei der Bekehrung ist hier Hilfe. Gewiß, ich las die Schrift, aber Gott schuf das Wollen und das Vollbringen. Gewiß, ich hörte aufmerksam zu bei dem Evangelisationsvortrag, aber Gott … Gewiß, ich bin zur Aussprache gegangen, aber Gott… Gewiß, ich sagte Ja zu Jesus, aber Gott schuf das Wollen und Vollbringen. Von der ersten Frage, dem ersten Sehnen bis zur „Entscheidung“ – überall gilt: „Das tat Gott!“ So ist Gottes Wirken der umgreifende Horizont, die allwirksame Macht, aber gerade sie schaltet mich nicht aus, sondern voll ein. Nie war ich so sehr dabei wie da, als Gott durch sein Wort mein Herz für Jesus öffnete.
Siegfried Kettling: Typisch evangelisch, S. 141f. (Hervorhebungen von mir, hier gibt es das Buch als PDF)