Gestern bin ich (hier) auf Gottes Erschaffen der Welt ex nihilo eingegangen. Es sollte deutlich geworden sein, dass uns die biblische Lehre der Schöpfung aus dem Nichts vor gewissen Fehlschlüssen bewahrt. So macht die Forderung, Gott zu sehen, bevor man offen für den Glauben ist, keinen Sinn (so wie es für Robinson Crusoe keinen Sinn macht, Daniel Defoe sehen zu wollen). Es macht auch keinen Sinn, zu versuchen, diesen ersten Schöpfungsakt aus dem Nichts naturwissenschaftlich-physikalisch einzufangen oder zu beschreiben. Die Naturwissenschaft ist eine Sache des erschaffenen Universums; den ex nihilo Gründungs- und auch Erhaltungsakt Gottes dieses Universums zu beschreiben, übersteigt ganz einfach den Verantwortungsbereich der Naturwissenschaften.
Auch ist klargeworden, dass Gott ist und es ihn im Sinne von erschaffenen Dingen „nicht gibt“. Somit ist Gott einerseits unglaublich weit weg von uns: So wie Robinson Crusoe niemals zu Daniel Defoe gelangen kann, können wir als Geschöpfe Gottes niemals zu ihm gelangen; anderseits ist uns Gott aber unglaublich nah – viel näher als alles andere –, weil er ja alles erhält und wir als seine Geschöpfe in seiner Welt leben. Somit bewahrt uns die biblische Lehre der Schöpfung ex nihilo davor, uns Gott als irgendein im Universum existierendes Wesen vorzustellen. Gott ist kein alter Mann mit Bart, der über den Wolken sitzt und uns beobachtet; dieser alte Mann ist ein Götze, ein menschengemachter Gott. Kann uns die Schöpfungslehre ex nihilo aber vielleicht auch unruhig machen? Zu wem (oder zu was) beten wir denn dann eigentlich? Wenn wir Gott nicht sehen können, wie können wir denn dann überhaupt irgendetwas über ihn wissen?
Solche Fragen können durchaus beunruhigen (was gar nicht schlecht ist, wenn uns diese Unruhe ein falsches Gottesbild aufgeben lässt). Es soll aber nicht bei dieser Unruhe bleiben. Das Johannesevangelium bestätigt zunächst die Unsichtbarkeit Gottes, mit der ja auch eine gewisse Unnahbarkeit verbunden ist: „Niemand hat Gott jemals gesehen“, heißt es in Joh. 1,18. Das ist aber noch nicht das Ende, sondern „der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht“. Die Unmöglichkeit, uns Gott selbst zu erschließen, macht uns als Geschöpfe abhängig von göttlicher Offenbarung. Und diese ist in seinem Sohn in Vollkommenheit zu uns gekommen.
Was hat aber die Inkarnation Christi mit dem Schöpfungsakt Gottes ex nihilo am Anfang der Zeiten zu tun? Wir haben es, so meine ich, hier mit derselben ex nihilo-Logik zu tun, die auch die Erschaffung des Universums beschreibt. Natürlich ist Jesus einerseits nicht aus dem „Nichts“ Mensch geworden, schließlich hatte er ja eine sehr menschliche Mutter, in deren Leib er herangewachsen ist, die ihm das Leben geschenkt und ihn genährt hat; und doch, so scheint es mir, können wir die „Entstehung“ Christi im geschaffenen Leib der Maria nicht anders beschreiben als eine Entstehung ex nihilo, als einen göttlichen Schöpfungsakt aus dem Nichts. Wir sind hier mit einer Realität konfrontiert, mit einer autoritativen Offenbarung, die es uns nicht erlaubt, uns an einer „wissenschaftlichen“ Erklärung zu versuchen. Genauso wenig wie Physik den ersten Schöpfungsakt ex nihilo beschreiben kann, genauso wenig kann die Biologie erklären, wie Gott Mensch werden kann. Die Menschwerdung Jesu ist einfach keine biologische Frage.
Umso wichtiger aber ist sie als theologische Frage. Wie bereits angedeutet, kann die in der Lehre der Schöpfung aus dem Nichts implizite Schöpfer-Geschöpf-Unterscheidung beunruhigen: Wie können wir uns denn überhaupt Gott nahen, wenn er per Definition in einer für uns unerreichbaren Dimension ist? Wir können es tatsächlich nicht. Und hier setzt das Wunder der Inkarnation ein: Gott selbst naht sich uns, indem er Geschöpf wird. Wie ist das möglich? Gerade so, wie das Universum möglich ist: als göttlicher Schöpfungsakt ex nihilo. Somit gibt sich Gott selbst ein Gesicht, wird sichtbar für uns – im Angesicht Jesu Christi: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (Joh. 14,9).