Seit Anfang April habe ich (in ständig größer werdenden Abständen) immer wieder über Dietrich Bonhoeffers „Gemeinsames Leben“ gebloggt. Bonhoeffer definiert zunächst die Grundlage christlicher Gemeinschaft und zeigt, woran eine christliche Gemeinschaft letztlich zerbricht und welches Grundübel daran schuld ist. Im zweiten Kapitel beschreibt er den gemeinsamen Tag, der mit einer gemeinsamen Morgenandacht beginnt, zu der er neben Schriftlesung, Psalmengebet und gemeinsamem Lied auch das gemeinsame Gebet zählt.
Bonhoeffer hat bei allen Elementen stark betont, dass Gottes Wort gehört, gebetet und gesungen werden soll. Beim gemeinsamen Gebet jedoch sollen wir sprechen. Das hat Konsequenzen:
Es gibt kein Stück der gemeinsamen Andacht, das uns so ernste Schwierigkeiten und Nöte bereitet wie das gemeinsame Gebet; denn hier sollen ja nun wir selbst sprechen.
Bonhoeffer sieht die Schwierigkeit darin, dass man aus Furcht voreinander sich nicht frei zu beten traut. Daneben sieht er eine mögliche Beobachtung und Kritik als mögliches Problem beim gemeinsamen Gebet. Er schlägt deshalb vor, dass über eine längere Zeit immer dieselbe Person in der Gemeinschaft das Gebet spricht,
um das Gebet vor falscher Beobachtung und vor falscher Subjektivität zu schützen […].
Das gemeinsame Gebet bzw. das Gebet für die Gemeinschaft erweist sich für den Betenden so als eine Möglichkeit zum geistlichen Wachstum. Er lernt, die Gemeinschaft im Blick zu haben und ihr damit gewissermaßen zu dienen:
Es ist sein Auftrag, für die Gemeinschaft zu beten. So muß er das tägliche Leben der Gemeinschaft mitleben, er muß ihre Sorge und Not, ihre Freude und Dankbarkeit, ihre Bitte und ihre Hoffnung kennen.
Besonders herausfordernd fand ich folgende Passage:
Immer wieder wird es sich einstellen, daß der mit dem Gebet für die Gemeinschaft Beauftragte sich innerlich gar nicht dazu imstande findet, daß er am liebsten seinen Auftrag einem andern für diesen Tag übergäbe. Doch ist dazu nicht zu raten. Zu leicht wird sonst das Gebet der Gemeinschaft durch Stimmungen beherrscht, die mit geistlichem Leben nichts zu tun haben.
Er geht noch weiter:
Gerade dort, wo einer, durch innere Leere und Müdigkeit oder durch persönliche Schuld belastet, sich seinem Auftrag entziehen möchte, soll er lernen, was es heißt, einen Auftrag in der Gemeinde zu haben, und sollen die Brüder ihn tragen in seiner Schwäche, in seiner Unfähigkeit zum Gebet.
Ich denke, dieses Prinzip kann für auch für unser persönliches geistliches Leben und in manch seelsorgerischem Gespräch von großem Nutzen sein.
– Dietrich Bonhoeffer: Gemeinsames Leben. Kaiser: Gütersloh 1988, S. 53ff.