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Notizen zur Ringparabel

In diesem Jahr ist das Drama G. E. Lessings „Nathan der Weise“ (1779) Pflichtlektüre für die Abiturprüfung. Diese Lektüre gilt als zentraler Text der Aufklärung, die sich u.a. durch die (Über-)Betonung der Vernunft und der Emanzipierung von der Religion auszeichnet. Bei einem Besuch eines Buchhandels fand ich den Klassiker im „Sale“-Bücherkorb und erwarb die Reclam-Ausgabe für wenige Euro mit der gefühlten Verpflichtung, dieses bekannte Stück als Germanistik-Student einmal gelesen haben zu müssen. Nach dem Lesen des Werkes wird dem Leser klar, warum es diese Schlüsselposition für die Epoche innehat. Vor allem in der sogenannten Ringparabel, mittig im Gesamtwerk angeordnet, wird ersichtlich, aus welchem Grund dieser Text so elementar für die Aufklärung ist.

Der Anlass für die Ringparabel ist die Frage des Muslim Saladin an den Juden Nathan: „Was für ein Glaube […] hat dir am meisten eingeleuchtet?“ Der Gefragte überlegt fieberhaft, was er ihm darauf antworten soll, und entscheidet sich ihm durch ein „Märchen“ die Antwort zu geben: Vor langer Zeit lebte ein Mann, der einen Ring am Finger trug, der die Fähigkeit besaß vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Diesen vererbte er dem Sohn, den er am liebsten hatte. Dieses Erbritual wiederholte sich über Generationen bis ein Vater sich nicht zwischen seinen drei Söhnen entscheiden konnte, da ihm alle gleich lieb waren. In dieser Verzweiflung, keinen bevor- bzw. benachteiligen zu wollen, ließ er zwei Kopien des Rings anfertigen, die dem ursprünglichen Ring, wie ein Ei dem andern glichen. Selbst der Vater konnte, nachdem er die Duplikate erhalten hatte, den eigentlichen Ring nicht mehr ausfindig machen. Der Vater überreichte jedem Sohn einzeln seinen Ring, verschied und hinterließ jeden Sohn im Glauben den wahren Ring zu besitzen. Als ein jeder feststellte, dass die beiden anderen Brüder ebenfalls einen Ring besaßen, suchten sie Rat bei einem Richter. Doch dieser konnte nur die Gleichheit aller Ringe feststellen und ihnen folgenden Rat mitgeben: „Mein Rat ist aber der: ihr nehmt die Sache völlig wie sie liegt. Hat jeder seinen Ring von seinem Vater so glaube jeder sicher seinen Ring den echten. […] Wohlan! […] Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an den Tag zu legen!“ Die Aussage ist klar, die jeweilige Religion, sei es Judentum, Christentum und Islam, ist im Grunde sich ähnelnd und solle sich durch die Betätigung als die richtige erweisen. Die Frage, welche die wahre Religion ist, erübrigt sich damit.

Der Grund für die aktuelle Popularität dieser Parabel ist offensichtlich, versucht sie doch die Spannungen zwischen den Religionen bzw. den jeweiligen Anhängern aufzuheben und einem friedlichen Miteinander eine Plattform zu bieten. Die FDP beanstandete bereits 2010 in einem Thesenpapier, dass eine geeignete Integrationsphilosophie nicht nur christlich-jüdischer Natur sein könne und verweist dabei auf die lessingsche Ringparabel, die durch die in ihr vermittelte Toleranzidee vorbildlich sei.

Doch was sind die Schwächen dieses „Märchens“, wie Nathan der Weise seine fiktive Erzählung selber bezeichnet? Einige Gedanken hierzu möchte ich skizzenartig aufzeichnen. Der erste und vielleicht auffälligste Punkt ist, dass eine Gleichstellung der drei sogenannten abrahamitischen Religionen aufgrund der gravierenden und konträren Glaubensaussagen eine allzu große Vereinfachung darstellt. Das aktuelle Magazin (10/2019) des ethos stellt das einleuchtend und in Kürze dar. Während das Christentum sich auf die eine Person Jesus aus Nazareth konzentriert und ihn als den verheißenen Messias ehrt, widerspricht das Judentum mit Unnachgiebigkeit diesem Verständnis. Auch der Islam und das Christentum weisen erhebliche und unvereinbare Unterschiede auf: Während Jesus im Christentum als der Sohn Gottes dargestellt wird, verweigert der Koran ihm ausdrücklich diese Stellung: „Nicht steht es Allah an, einen Sohn zu zeugen. Preis ihm!“ (Sure 19,35). Auch dem für den christlichen Glauben elementaren Kreuzestod Christi zur Sühnung der Sünden (z.B. 1Kor 2,2) wird im Koran direkt widersprochen, wenn es darin über den Menschen Jesus heißt: „Doch ermordeten sie ihn nicht und kreuzigten sie ihn nicht …“ (Sure 4,157). Die Frage, die mit Recht an die Parabel zu stellen wäre, ist, wie diese sich widersprechenden Glaubensrichtungen letztendlich doch eins sein sollen.

Ein zweiter Punkt: Eine der zentralen Aussagen der Parabel ist die, dass die tätige Liebe das Eigentliche sei. Dass sowohl das Almosengeben, im Koran eine der fünf Säulen, als auch das höchste christliche Gebot, Gott und den Nächsten zu lieben, eine gemeinsame Schnittstelle haben, ist nicht zu leugnen. Jedoch unterscheidet sich das Christentum fundamental vom islamischen Verständnis hinsichtlich des Zweckes dieser tätigen Liebe. Während im Islam die Werke das Wohlgefallen Allahs wecken sollen, können diese Werke im christlichen Glauben nie zum Wohlgefallen vor Gott führen, da der Mensch gleichgültig, wie stark er sich anstrengen möge, nicht durch seine Werke gerecht werden kann. Allein der Glaube an den stellvertretenden Tod Christi vermag ihn vor Gott angenehm zu machen. Erst als Folge dieser Rechtfertigung ermahnt die Bibel mit allem Eifer gute Werke zu tun (u.a. der Titusbrief).

Ein dritter Aspekt: Ein gerade für die Aufklärung charakteristisches Merkmal ist die Wandlung, die sich innerhalb der Parabel vollzieht. Während zu Beginn der Parabel der Ring, also der wirkliche Glaube, vor Gott angenehm macht, sollen am Ende der Parabel die Söhne die Echtheit ihres Ringes (Glaubens) durch ihr Verhalten beweisen. Nicht Gott und seine Offenbarung, sondern die Vernunft des Menschen wird zum entscheidenden Kriterium für Wahrheit und Fälschung.

Eine Frage, die ich mir persönlich stelle, ist die nach der Person des Vaters: Was muss das für ein Vater sein, der zwei seiner Söhne mit einem unechten Ring betrügt? Er weiß genau, dass nur einer den wahren Ring erhalten und damit das Wohlgefallen Gottes erlangen kann, aber statt mit ihnen Wahrheit zu reden, lässt er sie in die Irre gehen. Das ist für mein Dafürhalten eine gewöhnungsbedürftige Art von Liebe.

In Bezug auf ewigkeitsrelevante Dinge scheint es mir äußerst gewagt zu sein, das Vertrauen auf ein Märchen zu setzen. Denn wie äußert sich Nathan im Selbstgespräch bevor er dem eintretenden Muslim die Geschichte erzählt: „Nicht die Kinder bloß, speist man mit Märchen ab.“

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