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Christ & Welt

Jeremy Begbie: T.F. Torrance im Gespräch mit den Künsten

Vor einiger Zeit habe ich Jeremy Begbies C.F.D. Moule Memorial Lecture aus dem Jahr 2014 zusammengefasst. Ich möchte hier eine weitere Vorlesung von Begbie umreißen, die er 2018 beim Jahrestreffen der T.F. Torrance Theological Fellowship gehalten hat. Begbie geht in seiner Vorlesung auf vier Schwerpunkte in der Theologie von Torrance ein und zeigt auf, wie diese im Dialog mit den Künsten fruchtbar gemacht werden können. Von den vier Schwerpunkten habe ich die ersten drei zusammengefasst. Es geht mir dabei nicht um eine möglichst wortgetreue Wiedergabe Begbies, sondern um die Inhalte. Hier zunächst die vollständige Vorlesung, die natürlich inhaltsreicher ist und deutlich mehr Beispiele enthält, als meine Kurzfassung:

(1) Eine christuszentrierte Vision

In seinem Buch Space, Time and Resurrection dreht sich das gesamte Universum – von der Schöpfung bis zur Neuschöpfung – um den fleischgewordenen Christus. In der Tradition von Irenäus und Athansios besteht Torrance darauf, dass die geschaffene Ordnung im Licht der Beziehung des inkarnierten Sohnes zum Vater verstanden werden muss; aus dieser durch den Geist belebten Liebesbeziehung ist alles das, was ist, entstanden und in diese Beziehung mündet auch die gesamte Neuschöpfung. Das Universum hängt ontologisch, d.h. in seinem Sein, an dem inkarnierten und auferstanden Jesus. Dabei ist die Inkarnation keineswegs einfach als ein kosmisches Prinzip aufzufassen, sondern als konkretes Eingreifen Gottes, als bisher noch nicht dagewesene Fleischwerdung des Sohnes des Vaters zu verstehen.

In Caravaggios Berufung des Hl. Matthäus sieht man den erstaunten Blick von Matthäus, der sich über die Berufung wundert. Interessant ist, dass die berufende Hand Jesu der erschaffenden Hand Gottes in der Sixtinischen Kapelle gleicht; Christus erschafft Matthäus neu, er wird in Christus zur neuen Schöpfung. Betrachtet man die Hand allerdings von der anderen Seite, dann gleicht sie eher der Hand Adams; Christus als zweiter Adam läutet somit die Neuschaffung des gesamten Kosmos ein, in die der Einzelne integriert ist.

In den 1970er Jahren war eine solche theologische Vision in der akademischen Welt eher eine Rarität (mit Leuten wie Oliver O’Donovan, Richard Bauckham, Richard Hayes und N.T. Wright sieht die theologische Landschaft heute schon anders aus). Trotzdem besteht noch Bedarf, eine solche christuszentrierte Vision mit den (christlichen) Künsten ins Gespräch zu bringen. So spricht man beispielsweise oft davon, dass die Schöpfung gut ist, aber man spricht nicht von dem, durch den Schöpfung begann und in dem sie erneuert wird. Auch geht es oft darum, Körperlichkeit ernst zu nehmen, z.B. im Tanz; und doch spricht man nicht von dem auferstandenen Körper, der ja den Tanz des Universums für uns schon verkörpert.   

Auch das künstlerische Konzept von Schönheit kann durch Torrances Perspektive bereichert werden. Wir sprechen über erschaffene oder auch Gottes Schönheit in klassischen Schönheitsbegriffen, sollten dabei aber nicht vergessen, dass diese sich immer wieder neu um die Inkarnation, das Kreuz, die Auferstehung und die Himmelfahrt Christi drehen müssen. Luther hat deutlich gemacht, dass sich Christi Schönheit gerade in der Liebe zu den Verlorenen gezeigt hat. Wenn eine Theologie der Schönheit mit Christus in den Tod gehen muss, dann müssen wir wieder neu lernen, zu den Füßen von Dostojewski, Flannery O’Connor und W.B. Yeats zu sitzen.

Die Gefahr der Sentimentalität, die mit dem Ausblenden des Bösen, der Sünde und des Gefallenseins einhergeht, darf nicht dazu führen, dass man der Schönheit jegliches eschatologische und hoffnungsvolle Moment raubt. Wir leben in der Überlappung zweier Zeitordnungen: in der alten, die uns durch das Böse und die Sünde nur allzu vertraut ist; aber eben auch in der neuen, die aus der Zukunft schon jetzt zu uns kommt. In der Kunst ist der Fehlschluss möglich, das Gebrochene und in Gewalt Getauchte als tiefgründiger zu begreifen, so als sei das Elend irgendwie wahrer als die Freude. Torrances Frage lautet hier: Leben wir so, als habe die Auferstehung niemals stattgefunden? Welche Zeitordnung ist am Ende gültig? Christliche Künstler, die vor dem Thema der Freude und Hoffnung Angst haben, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie schon einmal ins Neue Testament geschaut haben.  

(2) Christi stellvertretende Menschlichkeit

Was ist die Berufung des Künstlers? Heute verbindet man Kunst mit Kreativität. In der Antike und im Mittelalter wurde Gott durchaus als Künstler gesehen, der Künstler aber nicht als gottgleicher Schöpfer. Schließlich kann nur Gott wirklich etwas erschaffen – nämlich aus dem Nichts. Im 15. Jahrhundert wird dann das Reden über den Schöpfergott auf den Menschen übertragen: der Künstler wird „göttlich“. In modernen Darstellungen wohnt dem Künstler eine gottgleiche Freiheit inne, in der er – wir bei der ersten Schöpfung – tatsächlich kreativ neuschaffen kann. Für die Romantiker war die Imagination diese gottgleiche Kraft, mit der die Welt transformiert werden kann.

Gewisse Ausprägungen des Protestantismus stellen sich dieser Künstlerkonzeption radikal entgegen: Künstler können nichts „erschaffen“, sondern nur „berichten“. Der Künstler ist sündig und kein Stück göttlich! Das Problem ist, dass es sich hier um eine Nullsummenspiel handelt: entweder ist der Künstler menschlich oder göttlich; entweder er ist nur kreativ oder nur ein Entdecker. Dabei ist es doch vielmehr so, dass Gott uns Menschen in seiner Erneuerung aller Dinge gebrauchen möchte. Nicht, weil er sonst machtlos ist, sondern weil er es mit uns vollbringen möchte.

Wie können das Göttliche und das Menschliche zusammen gedacht werden? Die stellvertretende Menschlichkeit Christi weist uns hier den Weg. Kreativ zu sein, heißt, an dem neuen Leben des menschlichen Christus Anteil zu nehmen, der ja selbst die neue Schöpfung verkörpert.

Mit dem Aufkommen der Moderne schwand der Glaube, dass wir in dem Kosmos ganz natürlich zu Hause sind; gleichzeitg traute man der menschlich erschaffenen (materiellen und immateriellen) Ordnung immer mehr zu. In der Musik von Bach findet sich interessanterweise sowohl das vormoderne als auch auch das moderne Verständnis (Begbie geht ab Min 26 genauer darauf ein). Bach glaubte an eine gegebene Ordnung, allerdings enthält seine Musik auch moderne Akzente der Möglichkeit menschlichen Schaffens. Betrachtet man Bachs Kunstwerk theologisch, zeigt sich, wie sich sowohl das Entdecken (einer gegebenen Ordnung) als auch das Neuerschaffen in einer christologischen Sicht von Kreativität vereinen: Christus ist beides, Mensch und Gott.

(3) Ein energischer Anti-Reduktionismus

Reduktionismus bedeutet, ein Phänomen auf eine universale Erklärungsebene zu reduzieren. Reduktionismen sind „einfach nur“-Erklärungen: Liebe ist „einfach nur“ Chemie im Gehirn – sonst nichts; Solidarität ist „einfach nur“ ein biologischer Herdentrieb – sonst nichts. Reduktionismen können sich in unterschiedlichsten Ausprägungen zeigen. Torrance beharrt darauf, dass unsere Welt vielschichtiger ist, als es der Reduktionismus zulässt.

Was hat das mit Kunst zu tun? Auch hier besteht die Gefahr, reduktionistisch zu denken. Die Bilder vom Rembrandt sind dann nichts mehr als „Aussagen“: Was wollte Rembrandt damit sagen? Wenn wir das rausbekommen haben, haben wir das Bild „erklärt“ und können weitermachen. Ein solcher Umgang mit Kunst versperrt aber den Blick dafür, dass in Rembrandts Bildern doch so viel mehr steckt. Bilder einfach nur auf „Aussagen“ zu reduzieren, ist – reduktionistisch. Vielmehr ist es so, dass wir mit Kunst niemals „fertig“ sein können. Das heißt nicht, dass Kunst einfach alles bedeuten kann, aber sie steht doch als Zeugnis da, dass es so viel mehr gibt, als es uns ein wissenschaftlicher (oder sonst noch irgendein) Reduktionismus glauben machen möchte.

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