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Christ & Welt

John Rutters geistliche Musik

Anfang Oktober, während des Erntedank-Gottesdienstes, bin ich nach einigen Jahren wieder John Rutter begegnet. Nicht persönlich, aber in einem seiner Werke. Kennengelernt habe ich ihn über Larry Nickel, der einige der Kompositionen Rutters mit dem West Coast Mennonite Chamber Choir aufgenommen hat.

John Rutter wurde 1945 in London geboren und studierte Musik am Clare College in Cambridge. Auf seiner Homepage schreibt er über seine Anfänge:

Seit ich gehen und sprechen gelernt habe wollte ich Musiker sein. Ich entdeckte die Musik für mich im Elternhaus, als ich den Deckel des alten Klaviers in der Londoner Wohnung meiner Eltern das erste Mal aufhob und anfing, die Tasten auszuprobieren. Außerdem habe ich jeden Morgen im Kindergarten im Morgenkreis lauthals mit anderen Kindern gesungen. Nach Stunden der Klavierimprovisation und hohem, pfeifendem Gesang, den meine Eltern ertragen mussten und durch den sie wahrscheinlich beinahe verrückt geworden sind, meldeten sie mich im Alter von sieben Jahren zum Klavierunterricht an, wo mein Klavierlehrer mir mitteilte, ich solle Komponist oder Sänger werde (oder irgendetwas anderes), aber bitte nicht Pianist!

Heute ist John Rutter einer der bedeutendsten und populärsten Komponisten von Chor- und Kirchenmusik, der seine Epoche maßgeblich kirchenmusikalisch geprägt hat. 

Was kennzeichnet Rutters Kompositionen?

Der Dachverband für Kirchenmusik in Deutschland (ACV), verlieh bereits 2013 eine Auszeichnung an Rutter, bei der die Verdienste Rutters um die Kirchenmusik in den letzten Jahrzehnten hervorgehoben wurden. Die Medaille wurde damit begründet, dass seine Werke sich durch eine typisch englische Faktur (d. h. den kunstgerechten Aufbau einer Komposition), durch eine „menschfreundliche“ und gut singbare Stimmführung und durch eine raffinierte und eingängige Harmonik auszeichnen. Durch diese Vorzüge haben viele seiner Werke eine weite Verbreitung gefunden und werden auch im freikirchlichen Kontext gerne gesungen. Vor allem seine kleineren Werke wie The Lord bless you and keep you, For the beauty of the earth (dt. Für die Schönheit dieser Welt), Look at the world (dt. Schau auf die Welt), and All things bright and beautiful (dt. Alle Dinge dieser Welt) sind mittlerweile gut bekannt, zudem auch einige seiner Christmas Carols (z. B. Angels Carol).

Angestoßen durch diese erneute Begegnung mit der Musik von John Rutter habe ich das Album Be Thou My Vision in den letzten Wochen einige Male gehört, das u.a. die wunderschöne Vertonung des aaronitischen Segens enthält:

Das Lied liegt, soweit mir bekannt, leider nicht auf deutsch vor. In diesem Stück (wie auch in anderen) bemerkt man etwas von Rutters Fähigkeit, eine Aussage in ihrer Tiefe zu erfassen und diese durch die Musik auch emotional greifbar zu machen.

Kann ein Agnostiker geistliche Werke schaffen?

Dabei ist Rutter aber Agnostiker. Auf die Frage „Sind sie ein Anglikaner?“ antwortete er in einem Interview:

„Ich bin ein ehrfürchtiger Gläubiger, wenn ich gerade an einem geistlichen Werk arbeite. Wenn ich einen geistlichen Text nehme, glaube ich jede Silbe davon, während ich ihn zu Musik umwandle, weil ich denke, dass es Teil der Arbeit eines Künstlers ist, sich in etwas hineinzuversetzen, was nicht unbedingt den eigenen Überzeugungen entspricht. Solange ich schreibe oder dirigiere, bin ich ein überzeugter Gläubiger, aber wenn ich fertig bin, bin ich wieder das, was ich normalerweise bin, nämlich Agnostiker. (…) Wenn dir jemand eine Partitur von Beethovens Eroica gibt und sagt: „Ist das wahr? Ist Napoleon wirklich die Inspiration hinter diesem Werk?“ würde ich sagen: „Sie stellen die falschen Fragen.“ Wenn du stattdessen fragst: „Ist es inspirierend? Bleibt es unvergesslich?“ ist es eher das, was ich auch über den Glauben denke: Er ist inspirierend, er ist unvergesslich, er ist etwas, was dir bleibt und es gibt viele gute Dinge, die man aus dem Glauben ziehen kann.“

Ich stimme Rutters Definition von Glauben nicht zu. Glauben hat für ihn nur eine emotionale Funktion und stellt die Frage nach Wahrheit seiner Meinung nach gar nicht. Rutter übersieht dabei, dass er selbst ja eine Aussage über das Wesen des Glaubens macht, die wahr sein soll.

Nichtsdestotrotz schätze ich seine geistlichen Werke und würde sie auch in der Gemeinde singen lassen, wenn sie mit der Wahrheit der Heiligen Schrift übereinstimmen. Kunst ist Teil der allgemeinen Gnade Gottes, dementsprechend kann Rutter als Agnostiker, wenn er geistliche Texte vertont, auch geistliche Werke schaffen. Wir dürfen dankbar sein für Künstler, die christliche (d.h. mit der christlichen Lehre übereinstimmende) Kunst schaffen. Das Problem liegt eher bei Christen, wenn sie diesen Lebensbereich als unchristlich ausschließen. Gott lässt nicht nur seine Sonne über Gerechte und Ungerechte aufgehen, sondern begabt Christen, Agnostiker und Atheisten gleichermaßen. Es ist also kein Problem, dass ein John Rutter mehr von der Schönheit dieser Welt erkennen und so schönere Musik schaffen kann als mancher Christ. Im Gegensatz zu ihm kann ich jedoch aufrichtig Gott dafür danken.

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