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Christ & Welt

Christ-Sein und politisches Engagement

In dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, herrschte eine recht klare Zwei-Reiche-Lehre: Die Gemeinde und die Welt, wobei beide strikt voneinander zu trennen waren. Zum ersten Reich gehörten der Gottesdienst und alle sonstigen Aktivitäten im Rahmen der Gemeinde wie Orchester, Jugendstunde und evtl. – da bin ich mir nicht ganz sicher – auch der technische Unterricht im Umgang mit Holz, da dieser ebenfalls von der Gemeinde angeboten wurde. Auf der anderen Seite, der Welt, befand sich vereinfacht gesagt der Rest: die Gesellschaft, die Schule, die Politik usw.  Berührungspunkte zwischen den beiden Reichen gab es beinahe nur aufgrund von wirtschaftlichen, bildungstechnischen Notwendigkeiten wie Arbeiten oder Schule. Vor diesem Hintergrund war es für mich offensichtlich, dass politisches Engagement und Christ-Sein in einem Feuer-Wasser-Verhältnis zu einander stehen müssten. Aus diesem Grund war ich verwundert als vor etwa fünf Jahren ein Prediger, der unsere damalige Gemeinde besuchte, nach dem Gottesdienst sagte, dass er sich über Christen in verantwortlicher, politischer Position auf z.B. Bundesebene freuen würde. Das überraschte mich. Im Laufe der vergangenen Jahre hat sich mein Denken hierzu langsam bewegt, auch wenn ich der Überzeugung bin, dass es nur eine Minderheit in der Gemeinde Jesu ist, die zu diesem gesellschaftlichen Dienst befähigt ist und das geistliche und charakterliche Rückgrat hierzu besitzt. Ich stimme heute dem Lausanner Bündnis von 1974 zu, wenn es dort heißt:

Obwohl die Versöhnung mit Menschen nicht  das Gleiche ist wie die Versöhnung mit Gott, und obwohl gesellschaftliches Handeln nicht das Gleiche ist wie Evangelisation, und obwohl politische Befreiung nicht das Gleiche ist wie Errettung, bekräftigen wir dennoch, dass sowohl Evangelisation als auch gesellschaftliche Beteiligung Teile unserer christlichen Pflicht sind. Denn beide sind notwendiger Ausdruck unserer Lehre von Gott und Mensch, unserer Liebe zu unserem Nächsten und unserem Gehorsam Jesus Christus gegenüber.[1]

Mit Interesse habe ich deshalb das Interview von Stefan Beyer (erschienen im Timotheus Magazin 03/2018) gelesen. Stefan Beyer ist Pastor in einer Gemeinde in Jena und zugleich im Stadtrat Jenas für die FDP.

Über seine Motivation in die Politik zu gehen, sagt er folgendes[2]:

Immer, wenn ich meine Mutter besuche, beschwert sie sich über irgendein politisches Thema. Irgendwann sagte ich mir, dass ich nicht so enden will – mich mein Leben lang bloß vom Küchentisch aus über die Politik zu beschweren. Also entschloss ich mich, Mitglied der FDP zu werden. Warum genau diese Partei? Erstens war ich durch mein Wirtschaftsstudium von den Lösungsansätzen der Liberalen am meisten überzeugt  Zweitens habe ich in den USA und in Ägypten gelebt und von dort ein Freiheitsgefühl mitgebracht, welches ich am meisten in der FDP verwirklicht sehe. Drittens wollte ich nicht in die CDU eintreten, weil ich nicht eine Partei unterstützen wollte, die sich christlich nennt, es aber aus meiner Sicht vielfach nicht ist. Mir war es lieber, in einer Partei zu sein, die eine klare Grundlage in der Freiheit hat, und bei der ich mich dann bei einzelnen Themen als Christ anders positionieren kann (z.B. Legalisierung von Cannabis, Homosexualität, Abtreibung).

Dass er mit seiner christlichen Weltsicht in einem politischen, unchristlichen Umfeld in ein Spannungsfeld geraten würde, war ihm klar.

Wenn man sich als Christ in der Politik engagiert, sollte man eine christliche Weltanschauung haben, die auf der Bibel basiert und wichtige theologische Fragen beantworten kann. Für mich waren zunächst die Fragen akut, inwieweit ich als Christ in der Welt aktiv sein sollte und wie ich mit dem sündigen Verhalten umgehen soll, dem ich dort begegne. Wenn ich Parteiveranstaltungen besuche, werde ich ja immer wieder mit Sünde konfrontiert, und die Frage ist, wie ich mich davon distanzieren kann. Das Neue Testament sagt uns ganz klar, dass wir uns absondern (2Kor 6,17) und keine Gemeinschaft mit den Werken der Finsternis haben sollen (Eph 5,11). Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich gelehrt, dass die Obrigkeit und die staatlichen Systeme von Gott eingesetzt sind (Röm 13,1). Sie werden sogar als „Gottes Dienerinnen“ beschrieben, die den Menschen Gutes tun (Röm 13,4). Es ist also nicht so einfach zu beantworten, ob man sich als Christ ganz aus der Politik raushalten oder umgekehrt sich voll einsetzen sollte, weil man ja dann Teil von Gottes Werk ist und Menschen Gutes tut. Eine komplexe Analyse des biblischen Befundes ist nötig, sowie ein umfassendes christliches Weltbild.

Hierbei waren ihm der Podcast „The Briefing“ von Albert Mohler, in dem dieser die politischen Ereignisse des Tages aus christlicher Perspektive kommentiert, und das Buch „Natural Law and the Two Kingdoms: A Study in the Development of Reformed Social Thought”[3] von besonderem Nutzen. Die Frage aufnehmend, ob (alle) Christen sich wie er in der Politik investieren sollen, antwortet Stefan Beyer:

Ich würde nicht jedem Christen ein Engagement in der Politik empfehlen, weil damit Versuchungen verbunden sind (Macht, Anerkennung), mit denen man umgehen muss. Allerdings würde ich jedem Christen empfehlen, sich darum zu bemühen, eine christliche Weltanschauung zu diesen Themen zu entwickeln. Denn in einem demokratischen System sind wir alle dazu aufgerufen, wählen zu gehen, und das können wir als Christen nur dann verantwortlich tun, wenn wir gelernt haben, umfassend christlich zu denken.

Ich persönlich wünsche mir mehr Christen, die klare biblische Überzeugungen besitzen, und auf dieser Basis in der Politik ihren Einfluss geltend machen, auch wenn nur wenige dazu befähigt sind. Eine gute Möglichkeit seine persönliche Eignung zu prüfen, bietet m.E. die Mitarbeit im Vorstand eines Vereins, da sich hier bereits ähnliche Herausforderungen – wenn auch im kleineren Maßstab – stellen. Daniel lebte im babylonischen Exil in einer „unchristlichen“ Gesellschaft: Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, Gott und dem König mit seiner außerordentlichen Weisheit zu dienen.


[1] Entnommen aus: Robertson McQuilkin (2003): Biblische Ethik. S.470.

[2] Das Interview ist in leicht veränderter Form hier online nachzulesen: https://www.josia.org/2019/05/sollen-christen-sich-aus-der-politik-raushalten-oder-haben-sie-auch-eine-politische-verantwortung/.

[3] https://www.amazon.de/Natural-Law-Two-Kingdoms-Development/dp/0802864430

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