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Bibel & Theologie

Stille Nacht, heilige Nacht

Verflogener Zauber vergangener Kindheitstage

Morgen ist Heiligabend. Manchmal verbinden wir mit der „stillen, heiligen Nacht“ etwas zauberhaft Schönes. Manche malen sich einen idyllischen Abend mit der Familie vor Augen. Kinder packen voller Freude Geschenke aus, während im Kamin das Feuer brennt. Draußen fängt es an, leicht zu schneien. Mit diesem Bild geht häufig aber auch ein sehnsüchtiger Blick in vergangene Kindheitstage einher, deren Zauber längst verflogen und deren Schönheit verblasst ist. Und im Grunde erinnert uns jeder Heiligabend stattdessen nur daran, dass wir allzu genau wissen, dass dies nur ein Traum ist – die Realität, in der wir leben, sieht anders aus.

Höhere Zeiten

Charles Taylor zeigt in Ein säkulares Zeitlalter, dass unser Zeitbegriff sich seit der Vormoderne fundamental verändert hat. Die „Entzauberung“, mit der er die Veränderung beschreibt, hat unser Zeitbewusstsein entscheidend geprägt. In der Vormoderne unterschied man irdische und höhere Zeiten. Irdische Zeit wurde chronologisch aufgefasst, die aber von höheren Zeiten durchdrungen und transzendiert wurde. Im Gegensatz zu uns hatten die Menschen damals also nicht ein rein lineares Zeitverständnis. Ereignisse, die chronologisch betrachtet weit zurücklagen, konnten anhand des Bewusstseins der höheren Zeit vergegenwärtigt werden und einem näher kommen als chronologisch nahe liegende Ereignisse. Taylor:

„Karfreitag 1998 ist in gewisser Weise näher am ursprünglichen Tag der Kreuzigung als der Tag im Hochsommer 1997“.

Ein säkulares Zeitalter, S. 55 (englische Ausgabe)

Dieses Zeitbewusstsein ist ein Zeichen, dass die Vormoderne ein deutlich stärkeres Gefühl für das Übernatürliche hatte, das unser Leben durchdringt und transzendiert. Seit der Moderne haben wir Zeit in eine Uhr gesperrt. Wir verstehen Zeit ganz selbstverständlich linear und nicht als Konstrukt, um die Realität zu erfassen oder zu optimieren. Deshalb empfinden wir auch keinen Unterschied zwischen dem 23. und 24. Dezember.

Das Zeit nicht nur chronologisch zu erfassen ist, ahnen wir an Tagen wie Heiligabend. Wir wünschen uns einen Zauber, der nicht verfliegt. Wir sehnen uns danach, unser Leben nicht nur als bedeutungslosen Moment auf einer unendlichen Linie zu sehen, sondern in ein größeres Bild einordnen zu können. Linear betrachtet ist unser Leben vergänglich und bedeutungslos. Heiligabend weckt den alten Wunsch in uns, dass unser Leben Teil einer größeren Geschichte sein könnte, die in gewisser Weise in unser Leben tritt.

Weihnachten „verzaubert“ unser Dasein

Christen erinnern sich zu Weihnachten daran, dass sie tatsächlich Teil einer wunderbaren größeren Geschichte sind. In der heiligen Nacht ist Gott Mensch geworden, um sein Volk von ihren Sünden zu retten (Matthäus 1,21). Jeder, der an ihn glaubt, wird zum Kind Gottes (Johannes 1,12). Diese Wahrheit „verzaubert“ unser Leben und lässt unser Dasein in einem völlig anderen Licht erscheinen. Wir sollten Heiligabend deshalb nicht allein im linearen Zeitbewusstsein feiern, nicht unnötig „verweltlichen“. Wir dürfen uns stattdessen von den Engeln in den Lobgesang hineinnehmen lassen, denn es ist Heiligabend. Gott tritt in unser Leben und möchte uns in seine Geschichte hineinnehmen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern mit einem Lied aus dem neuen Album von Keith und Kristyn Getty frohe Weihnachten und bedanke mich an dieser Stelle auch ganz herzlich für das Interesse am Blog im Jahr 2019.

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