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Bibel & Theologie

Jesus kommt wieder – oder doch nicht?

Wie sollen wir Bibelstellen verstehen, die auf den ersten Blick nahe zu legen scheinen, dass die Jünger eine zeitnahe Wiederkehr von Jesus Christus erwarteten? Ron Kubsch gibt eine hilfreiche Antwort.

Wie sollen wir Bibelstellen verstehen, die auf den ersten Blick nahe zu legen scheinen, dass die Jünger eine zeitnahe Wiederkehr von Jesus Christus erwarteten? In einem Kommentar hat Ron Kubsch Stellung zu dieser Frage genommen. Er erläutert zunächst das Problem und illustriert anschließend anhand von Matthäus 24,34–35 in Anlehnung an Herman Ridderbos, wie diese Stellen ausgelegt werden können.

Enttäuschte Erwartungen?

Das NT kennt eine Erwartung der Wiederkunft von Jesus Christus, die wir Zweite Wiederkunft oder auch Parusie nennen. Es gibt einige Texte, die von Bibellesern so verstanden werden, als ob die Parusie von den Aposteln und der Urgemeinde zeitnah erwartet worden sei. Einige Neutestamentler sprechen von einer Verzögerung der Wiederkunft und meinen damit: Jesus, Paulus und die gesamte frühe Kirche hätten die Wiederkunft Christi sehr bald erwartet. Offensichtlich ist aber Christus bis heute nicht zurückgekehrt. Also müssen Jesus, Paulus und etliche andere sich geirrt haben. Es war Albert Schweizer, der das Problem „Parusieverzögerung“ genannt hat. Nach seiner Auffassung erwartete Jesus selbst, dass die Parusie eintreten und das eschatologische Königreich kommen würde, bevor die Jünger ihre Predigtreise durch die Städte Israels beendet hatten (vgl. Mt 10,23). Als die Jünger zurückkehrten und dies nicht geschah, erkannte Jesus nach Schweizer, dass er einen Fehler gemacht hatte. Von da an begann Jesus zu denken, dass er das Königreich durch sein eigenes Leiden und seinen Tod bringen musste. Aber er habe sich auch darin geirrt und so starb er als desillusionierter Mann.

Für Schweitzer ist das NT konsequent eschatologisch zu lesen (Geschichte der Leben-Jesu-Forschung). Im Anschluss an Schweitzer behaupteten einige, die Theologiegeschichte müsse als De-Eschatologisierung gelesen werden. Die Kirche musste demnach etwas tun, um die enttäuschte Gemeinde zu trösten. Und so entwickelten die Väter die christliche Dogmatik, die quasi an die Stelle der Naherwartung rückte.

Andere Theologen waren oder sind weniger radikal. Sie meinen ebenfalls, Jesus habe sich geirrt. Seine Ankündigung, dass die Generation, zu der er sprach, die Parusie noch erleben werde, sei nicht eingetroffen (vgl. Mt 24,34). Oscar Cullmann gehört zu dieser Gruppe von Theologen. Er war der Meinung, dass sich die Kirche mit ihrer Naherwartung geirrt hatte. Ganz ähnlich sah das Werner G. Kümmel (Verheißung und Erfüllung). Von Paulus heißt es, er habe im Laufe der Zeit seine Meinung geändert. Erst habe er gemeint, er würde selbst die Parusie erleben (vgl. 1Thess 4,17). Später habe er wegen der Verzögerung seine Meinung revidiert.

Was machen wir nun mit den Texten, die eine Naherwartung nahelegen? Ich folge hier Theologen wie Herman Ridderbos (The Coming of the Kingdom). Er weist darauf hin, dass es in Jesu eigenen Vorhersagen über seine Zukunft zwei „rote Fäden“ gibt. Der eine verweist auf seinen kommenden Tod und seine Auferstehung, der andere auf seine endgültigen Rückkehr in Herrlichkeit. Diese beiden „Argumentationsfäden“ sind miteinander verschränkt und dürfen nicht auseinandergerissen werden. Ich kann das im Detail nicht wiedergeben und empfehle die Lektüre des Buches von Ridderbos.

Beispiel: Matthäus 24,34–35

Jesus sagt „Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mt 24,34–35). Gewöhnlich wird das „dieses Geschlecht wird nicht vergehen“ auf das zweite Kommen des Menschensohns in Mt 24,29–31 bezogen (oder auf den ganzen Abschnitt 24,3–31). Da aber die Geschlechter, zu denen Jesus sprach, den Menschensohn nicht haben kommen sehen, kann hier etwas nicht stimmen (Jesus hat sich z.B. geirrt).

Aber bezieht sich 24,34 wirklich auf den Zeitpunkt der Parusie? Warum sagt Jesus in V. 36: „Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater“? Will er damit zum Ausdruck bringen: Der Tag ist nah, aber genau weiß ich es auch nicht? Kann Jesus, der mehrfach vor der Naherwartung warnt (Mt 24,6.8.22) und mit sehr langen Zeiträumen (Mt 25,5.19) rechnet, gleichzeitig sagen, das alles werde noch vor den Augen dieser Generation passieren?

Es liegt meines Erachtens näher, dass Jesus vom Kommen des Menschen in seiner Königsherrschaft spricht (vgl. Mt 16,28). Diese Worte beziehen sich auf seine Auferstehung, die nämlich ein Auftakt und die Garantie für die Weltenwende ist. Jesus trennte seine Kreuzigung und Auferstehung nicht von seiner Wiederkunft, sondern sieht sie als ein großes zusammenhängendes Geschehen (also die große Perspektive). Mit der Auferstehung bricht etwas Neues an, was mit seiner Wiederkunft und dem Endgericht vollendet wird. Die Gemeinde kennt den Zeitpunkt seiner Parusie nicht. Sie soll wachsam sein und mit dem zweiten Kommen fest rechnen. (meine Hervorhebung)

Die paulinischen Texte und 2Petrus 3 lassen sich diesem Schema zuordnen. Wie Jesus lehrte Paulus, dass, obwohl die Zeit des zweiten Kommens ungewiss ist, die Tatsache dieses Kommens völlig sicher und durch die Auferstehung verbirgt ist. Der Gläubige soll in freudiger Erwartung der Wiederkunft Christi leben, obwohl er die genaue Zeit nicht kennt. Ich denke, er schreibt in 1Thess 4 nicht über sich selbst, sondern über diejenigen, die zur Zeit der Wiederkunft noch leben werden. Er selbst wusste ja nicht, wann Jesus wiederkommt. Er lebte aber in der großen und präsenten Erwartung seiner Wiederkunft. Es fällt auf, dass auch er Kreuzigung, Auferstehung und Wiederkunft zusammen sieht: „Nun, wir glauben doch, dass Jesus für uns gestorben und dass er auferstanden ist. Dann wird Gott aber auch dafür sorgen, dass die, die im Vertrauen auf Jesus gestorben sind, mit dabei sein werden, wenn Jesus in seiner Herrlichkeit kommt“ (1Thess 4,14).

Soweit von mir dazu. Ich empfehle natürlich Ridderbos im Original zu lesen. Er geht auf die Details, die nicht immer einfach zu verstehen sind, ein.

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