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Russland-Mennoniten

Bedeutende Jahreszahlen russland-mennonitischer Geschichte | 1860

Einleitung zur Artikelreihe: Mit der Reihe „Bedeutende Ereignisse mennonitischer Geschichte“ möchte ich anhand einiger wesentlicher Jahreszahlen einen groben Rahmen liefern, um die Geschichte der Russland-Mennoniten zu erfassen. Meine Absicht ist es vor allem bei denjenigen, die Nachfahren dieser Gruppierung sind oder sich hierzu zählen, Interesse an ihrer Geschichte zu wecken und zugleich Schubladen im positiven Sinne zu bieten, in die sie ihr bisheriges Wissen einsortieren können. Bisher sind in dieser Reihe Artikel zu den Jahren 1525, 1527, 1530 und 1789 erschienen.

Nach anfänglicher Enttäuschung und Mutlosigkeit wegen des unwirtlichen Landes und daraus resultierender Auflehnung gegen die beiden Führer Johann Bartsch und Jakob Höppner, so dass der eine bitter und der andere schwermütig wird, erreichen die arbeitsamen Mennoniten einen erstaunlichen Wohlstand. Zugleich entwickelt sich jedoch das geistliche Leben in die entgegengesetzte Richtung, in die Verarmung. Gleichgültigkeit und sogar Gottlosigkeit kennzeichnen viele der Mennoniten. Schon auf der Reise von Danzig nach Russland hatten die beiden Führer erkannt,

„daß sich auf dieser Wanderung ein Wandel im Mennonitentum vollzog. […] Das war keine mennonitische Glaubensgemeinde mehr, wie sie nun schon über bald drei Jahrhunderte im Sinn der Täufer nach der apostolischen Lehre bestanden hatte. Dies war ein Volk, das die gemeinsame plattdeutsche Sprache sprach und dessen einigendes Motiv die Suche nach besseren Lebensbedingungen war.“ [1]

Während es an vielen Flecken Europas geistliche Erweckungen gibt, scheint bei den Mennoniten der Glaube auszusterben. In dieser Situation kommt Eduard Wüst, ein lutherischer Pfarrer aus Süddeutschland, nach Russland, um dort die lutherischen Gemeinden zu betreuen. Diese Chance, einen ausgebildeten Theologen zu hören, nutzt die Gnadenfelder Mennoniten-Gemeinde in der Kolonie „Molotschna“ und lädt ihn zum Predigen ein. Mit Freimut und ungewohnter Radikalität predigt er unter den Mennoniten das Evangelium.

„Ich spreche schon im Voraus meine Erwartung aus, dass es unter euch rumoren wird. Rumoren soll es in den Herzen, rumoren in den Häusern und Familien, rumoren in der ganzen Gemeinde. Mit Matth. 16,16 teilte der Heiland die Menschen in zwei Klassen ein: in Gläubige und Ungläubige. Fluch jedem, der eine dritte Klasse hinzutut! Also, Geliebte, „Entweder – Oder!“ rufe ich euch heute zu, gleich in meiner ersten Predigt. Entweder Himmel oder Hölle! Kein Drittes!“[2]

Ausgerechnet ein Lutheraner, von deren Theologie sich die Täufer bei ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert distanziert hatten, ruft sie zum echten Christentum, zu wahrer Nachfolge auf. Die Wirkungen lassen nicht lange auf sich warten. Erkenntnis der eigenen Gottesferne und Buße folgen. Auch wenn alle Mennoniten ab einem bestimmten Alter getauft und damit in die Gemeinde aufgenommen werden, leben nur wenige den Glauben, zu dem sie sich offiziell bekennen.

Die Erweckten geraten nun in eine Gewissensnot, da sie es als eine Unmöglichkeit ansehen mit „ungläubigen Geschwistern“ in der Gemeinde das Abendmahl zu feiern. Aus diesem Grund sammeln sie sich im Dezember 1859 separat zu einer Abendmahlsfeier ausschließlich unter Gläubigen. Das ist aus Sicht der Gemeinde ein Affront gegen sie, so dass diese die Gruppe verfolgt und bei der Regierung anklagt. Kurze Zeit später schließen sich die Erweckten im Januar 1860 zu einer Gemeinde der Gläubigen zusammen.

1860 | Entstehung der Mennoniten-Brüdergemeinde

In einem Austrittsbrief an die Mennoniten-Gemeinde formulieren sie in zehn Punkten ihre Motivation, die sie mit folgenden Worten einläuten:

An sämtliche Kirchenälteste unserer Molotschnaer Mennoniten-Gemeinde

Wir Endesunterschriebenen sehen durch Gottes Gnade den Verfall der ganzen Mennoniten Bruderschaft ein und können um des Herrn und unseres Gewissens halben nicht so länger mitmachen […]. Deswegen sagen wir uns hiermit gänzlich los von diesen verfallenen Kirchen, flehen aber für unsere Brüder, dass sie selig werden.[3]

Desweiteren erklären sie in dem Schreiben die Missstände, in dem sie sich auf die Lehre Menno Simons berufen, um auf diese Weise nachzuweisen, dass sie nichts Neues, sondern die christlichen, gemeinsamen Wurzeln wiederentdeckt haben.

Zur Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen, werden die Altgläubigen fortan Mennoniten-Kirche und die neu entstandene Gruppe Mennoniten-Brüdergemeinde genannt, da man sich in letztgenannter nicht mehr mit z.B. „Herr Neufeld“ sondern „Bruder Peter“ anspricht. Um ein Erstarren, wie man es in der Mennoniten-Kirche gesehen hatte, zu vermeiden, wird die Taufe nun nur nach einem als von der Gemeinde als echt befundenen Glaubensbekenntnis des Täuflings durchgeführt. Desweiteren macht sich ein baptistischer EInfluss unter den Brüdern breit, der dazu führt, dass sie nun im Gegensatz zur Mennoniten-Kirche die Taufe durch Untertauchen (Begrabungstaufe) praktizieren.

[1] Klassen, Peter; „Und ob ich schon wanderte …“ S.19f
[2] Wiebe, Otto; „Mennoniten-Brüdergemeinde“ S.15
[3] Austrittsbrief der Mennoniten-Brüdergemeinde vom 06. Januar 1860, Elisabethtal

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