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Bibel & Theologie

Russell Moore über die Wichtigkeit von Geschichten

Russell Moore, Präsident der Ethics and Religious Liberty Commission der Southern Baptist Convention, hat einen hilfreichen Artikel veröffentlicht, in dem er die Wichtigkeit von Geschichten betont. Dabei bezieht sich Moore auf David R. Nienhuis‘ Buch A Concise Guide to Reading the New Testament: A Canonical Introduction, in dessen Einleitung festgestellt wird, dass viele Christen nicht (mehr) mit der großen Geschichte der Bibel vertraut sind. Die Bibel ist kein Wörterbuch oder eine Enzyklopädie, sondern, so der Autor, „ein Glauben-formendes Narrativ“ („a faith-forming narrative“).

Moore erklärt, dass Evangelikale die Idee zu Recht ablehnen, dass die Bibel ausschließlich aus illustrativen Narrativen besteht, die nicht in der Geschichte verankert sind. Allerdings ist es genauso falsch anzunehmen, dass das Narrativ, die Geschichte, lediglich Gottes Mittel ist, Abstraktionen moralsicher Prinzipien oder lehrmäßiger Axiome zu kommunizieren. Vielmehr wurzeln und gründen diese Prinzipien und Annahmen in der großen Geschichte, die die Bibel erzählt.

Das meint Nienhuis mit der „Unverzichtbarkeit des Narrativs“ [„irreducibility of narrative“]. In seinen Worten heißt es, dass „keine Moral oder Zusammenfassung einer Geschichte den Platz der Geschichte selbst einnehmen kann“. Der Grund dafür ist, dass Geschichten in der menschlichen Erfahrunge, wie von Gott geschaffen, mehr als nur Aufhänger sind, an denen man Abstraktionen festmachen kann. Geschichten sprechen nicht nur die kognitive Kapazität an, sondern auch die imaginative. Er erklärt: „Geschichten versetzen uns eine Zeit lang in eine Welt, die anders als unsere ist. Indem sie das tun, bieten sie uns ein tieferes Verständnis unserer eigenen Identitäten, Werte, Entscheidungen und Zwecke.“ Das ist genau richtig.

Moore führt Russell Kirk an:

Russell Kirk hat das als Formierung der „moralischen Imagination“ [„moral imagination“] beschrieben. Geschichten, richtig erzählt, prägen uns – zunächst meist unbewusst. Wir sind indirekt bzw. stellvertretend [vicariously] erfreut, überrascht, abgestoßen oder wütend. Es ist nicht so, dass wir da kognitive Verbindungen herstellen, aber auf eine bestimmte Art und Weise erleben wir diese Dinge. Diese Macht kann auf furchtbare Art und Weise genutzt werden – man bedenke den Gebrauch germanischer Volksmythen während des Aufstiegs von Hitler – oder aber auf lebensspendende und erlösende Art und Weise [life-giving, redemptive ways].

Als Nathan den König David mit seiner Sünde konfrontierte, fährt Moore fort, tat er das, indem er eine Geschichte erzählte. Das tat auch Jesus: Die Geschichte des guten Samariters vermittelt nicht einfach „nur“ die Botschaft der Nächstenliebe, sondern soll Mitleid für den von der Kultur ignorierten Außenseiter wecken – genau wie Nathan durch die Geschichte, durch das Narrativ, den die Sünde rationalisierenden Intellekt Davids überwand.

So funktioniert Ethik. Es ist nicht so, dass wir Listen mit „dos“ und „don’ts“ erhalten und wir uns dann entsprechend verhalten, oder dass wir von allen positiven und negativen Konsequenzen unser Taten überzeugt werden und wir so schließlich überredet sind.

Auch die Zehn Gebote beginnen mit einer Geschichte: nämlich mit der Geschichte, wie Gott sein Volk aus der Gefangenschaft Ägyptens führte. Auch der Kontext der Bergpredigt ist der einer Geschichte: Jesus macht klar, dass er die Erfüllung der Geschichte Israels ist. Moore betont, dass wir abstrakte Gebote, wie z.B. das Gebot den Fremden zu lieben, brauchen, die Gebote allerdings in dem großen Kontext unserer Geschichte und der Geschichte des Universums zu uns kommen. Eine große Gefahr besteht folglich darin, dass wir falschen Geschichten glauben – diese Glaube wird in moralisch falschen Taten münden.

Abschließend warnt Moore davor, die Geschichte der Bibel zu vernachlässigen und sich lediglich auf grundlegende Lehren zu konzentrieren:

Wenn wir die Geschichte nicht beachten, gehen wir am Herzstück der Person vorbei [we bypass the core of the person]. Noch wichtiger: wir beachten nicht das Mittel, mit dem Gott zu uns redet. Das – das Wort Gottes – ist es, was uns reinigen kann, was uns heilig machen kann.

Ohne die Geschichte, ohne das Narrativ, können wir auch nicht Ethik, Moral oder Gerechtigkeit haben.

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