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Russland-Mennoniten

Die Mennoniten und die Ingenieurskunst

Nach den ersten dürren Jahrzehnten in der neuen Heimat ging es für die mennonitischen Kolonien wirtschaftlich gesehen aufwärts. Das zeigt sich u.a. an den entstehenden Gutshäusern, der Intensivierung der Bildung und auch am technischen Fortschritt. Die im Buch von Heidebrecht[1] veröffentlichte Passage aus dem Mennonite Historian ist eine nette Geschichte, die den in der Überschrift genannten Aspekt illustriert.

Das erste Flugzeug in Russland wurde höchstwahrscheinlich von drei mennonitischen Studenten erdacht, gebaut, und kurz geflogen. Der treffende Name der Maschine, HUP, war scheinbar von den Anfangsbuchstaben der Familiennamen von Kornelius Hildebrandt, Peter Unrau und Heinrich Plenert zusammengestellt… Ein Segelflugzeug hoch zu kriegen war schon auf der ebenen russischen Steppe eine Leistung, fast so groß wie der Bau selbst. Auf Kufen im Gras musste ein starker Hengst das Flugzeug in Bewegung bringen, und eine besonders flotte Stute schleppte es dann im Galopp weiter. Im rechten Augenblick mussten die Pferde losgemacht werden. Atemberaubend schwebte das Flugzeug dann durch die Luft bis die Geschwindigkeit nachließ und der Pilot landen musste. Manche mennonitische Bauern billigten diese Anstrengungen nicht recht, da ja Gott den Menschen ohne Flügel geschaffen hatte… 1907, damals im Alter zwischen siebzehn und zwanzig, fühlten die drei sich erfahren genug, HUP II. mit eigenem Motor zu bauen. Den 4-Zylinder Motor planten und bauten sie in Chortiza selber. Der Rumpf und die Flügel wurden in Alexandrowsk hergestellt. Nur der Propeller wurde von Deutschland importiert. Dieser kostete soviel [sic], dass die Helden sich keine Räder leisten konnten, und wieder auf Kufen und Pferdekraft angewiesen waren. Plenert war der Versuchsflieger. Hildebrandts Bruder Peter drehte den Propeller, um den Motor anzulassen. Mit brüllendem Ungeheuer hinterher galoppierten die Pferde um so [sic] schneller, das Flugzeug erhob sich und der HUP II. flog mit eigener Kraft.

Heidebrecht, Hermann (2016). S.41.

Im Anschluss an den Artikel fügt Heidebrecht ergänzend hinzu, dass der Flug nur von kurzer Dauer war, da der Propeller (Made in Germany) brach und die Maschine zum Absturz brachte. Alle drei Erfinder gingen daraufhin zum Studium ins Ausland. Wohin wohl? – Nach Deutschland. 


[1] Heidebrecht, Hermann (2016)

2 Antworten auf „Die Mennoniten und die Ingenieurskunst“

Aufgewachsen in einer sehr konservativen mennonitischen Gemeinde klingt das für mich fast unglaublich, da bei uns jegliche (!) Bildung verteufelt wurde. Mehr als Hauptschule war schon sehr anrüchig…
Schön zu lesen, dass es früher anders war und auch jetzt viele sich von der Bildungsfeindlichkeit entfernt haben. Gott sei Dank gab es für mich einen Ausweg…

Lieber „Jsc“!
Danke für deinen recht persönlichen Kommentar.
Ich kann deine Ausführungen gut nachempfinden, auch wenn ich ursprünglich aus einer Gemeinde komme, die früher bildungsskeptisch (nicht -feindlich) war. Heute ist diese Gemeinde aber m.E. bildunsgfreundlich. Des Weiteren bin ich aus einem ausgesprochen bildungsfreundlichen Elternhaus, was die Bildungsskepsis aufgewogen hat.

Geschichtlich lässt sich beides bei den Mennoniten entdecken:
Nach anfänglicher Dürre in der Bildung, entwickelt sich vor allem unter Cornies ab 1843 ein Bildungssystem, welches das russische in den Schatten stellte. Es gab sogar einen Wettkampf zwischen den einzelnen Ortschaften bzw. Gemeinden, wer die beste Schule besäße. Um 1820 hingegen spaltete sich eine Gruppe von den Mennoniten unter Klaas Reimer ab, die sogenannte „Kleine Gemeinde“, die als „eng, abstoßend und bildungsfeindlich“ in die Geschichtsbücher einging.

Ich freu mich, dass es für dich, wie du sagst, einen Ausweg gab!
Schönen Gruß!
Andy

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