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Bibel & Theologie

„Alttestamentliche Apologetik“ (1): Von Vater Abraham lernen

Fyodor Bronnikov, Illustration of Lazarus at the rich man’s gate, 1886 (Bildquelle: Wikipedia)

Das Gleichnis von dem Reichen Mann und dem Armen Lazarus (Lk. 16,27-31) ist wohlbekannt: Ein Reicher genießt sein Leben in vollen Zügen, während Lazarus leidend voller Geschwüre vor seinem Haus liegt und nur Hunde hat, die ihm Gesellschaft leisten. Beide sterben, Lazarus wird in den Schoß Abrahams getragen, der Reiche erwacht in der Hölle. Von dort aus versucht er, seine Brüder vor diesem furchtbaren Ort zu bewahren, indem er Abraham davon zu überzeugen sucht, Lazarus zu ihnen zuschicken, was Abraham mit dem Verweis auf das Alte Testament ablehnt. Auch wenn ich das Gleichnis natürlich kannte, musste ich, nachdem ich es vor einiger Zeit noch einmal gelesen hatte, doch neu darüber nachdenken. Was mich beschäftigt hat (und immer noch tut) ist, was ich hier Abrahams „alttestamentliche Apologetik“ nennen möchte.

Der Reiche Mann richtet sich mit einem ehrenhaften Anliegen an Abraham: Er möchte seine Brüder vor der Hölle bewahren! Das ist doch gut, oder? Müsste Abraham das nicht mit allen möglichen Mitteln unterstützen? Abraham reagiert auf das dringende Anliegen jedoch eher „entspannt“: Einen Toten zu senden, das macht Abraham deutlich, ist gar nicht notwendig, schließlich haben die Brüder ja Mose und die Propheten. Das allerdings reicht dem Reichen Mann nicht: Das Alte Testament zu lesen ist ja schön und gut, scheint er zu sagen, aber wenn jemand aus den Toten zurückkehrt, dann werden meine Brüder wirklich glauben. Die „Beweisführung aus den Toten“ ist im Denken des Reichen ein notwendiges – und notwendigerweise über die Gottesoffenbarung durch Mose und die Propheten hinausgehendes – Mittel zur Erweckung von Glauben.

Dieses Argument ist uns nicht unbekannt (vielleicht nicht nur bei Skeptikern, sondern auch manchmal im persönlichen Glaubensleben?): Du musst mir Gott beweisen! Wenn Gott wirklich existiert, warum versteckt er sich dann so gut? Wenn Gott wirklich wollen würde, dass wir an ihn glauben, warum zeigt er sich dann nicht einfach wirklich? Wenn er uns erscheinen würde, wenn er so reden würde, dass wir ihn ganz konkret hören würden, dann wäre ja alles klar! Wenn Gott…, dann würden wir ja sofort… Nein! Würden wir eben nicht! Abraham zerschlägt unsere Versprechungen, mit denen wir „Beweise“ fordern und hinter denen sich lediglich unser Unglaube verbirgt. Abrahams Antwort ist erstaunlich einfach (und gleichzeitig unglaublich tiefgründig): Wer Mose und den Propheten, wer der Gottesoffenbarung im Alten Testament (und noch viel mehr der Offenbarung in Christus, würde der Hebräerbrief ergänzen) nicht glauben will, der braucht auch keine weiteren Beweise mehr – die sind nutzlos.   

Was Jesus hier, glaube ich, deutlich macht, ist, dass Glaube nicht so funktioniert, wie wir es uns manchmal vorstellen. Wenn z.B. ein Atheist wie Richard Dawkins behauptet, Gläubige würden trotz in die entgegengesetzte Richtung deutender wissenschaftlicher Beweise an Gott glauben, dann schießt er meines Erachtens völlig am Ziel vorbei. Glaube funktioniert nicht so wie Wissenschaft, weil er eben keine Wissenschaft ist. Die (Natur)Wissenschaften haben ihre ganz eigenen (durchaus legitimen) Voraussetzungen und Regeln; die (Natur)Wissenschaften produzieren aber eben auch nur eine ganz bestimmte – diesen Regeln und Voraussetzungen entsprechende – Form von Erkenntnis. Das Problem der Neuzeit besteht u.a. darin, dass ausschließlich wissenschaftliche Erkenntnis als legitime und „wirkliche“ Erkenntnis definiert und zugelassen wird. Das Ergebnis ist nicht das fortschrittliche Zurücklassen unreifer Mythen, sondern ein verengter Blick, der große Teile der Realität einfach nicht mehr wahrnimmt bzw. gar nicht mehr wahrnehmen kann.

Damit es hier nicht zu Missverständnissen kommt, möchte ich deutlich sagen, dass man als Gläubiger nicht anti-wissenschaftlich ist! Wenn ich sage, dass Glaube nicht wie Wissenschaft funktioniert, weil er keine Wissenschaft ist, dann meine ich damit nicht, dass der Glaube die Wissenschaft ignorieren muss, weil er unter ihrem kritischen Urteil nicht bestehen könnte. Nein, Glaube ist nicht weniger, sondern mehr als Wissenschaft. Alister McGrath hat in einem Vortrag deutlich gemacht, dass er nicht an Gott glaubt, weil das Universum kunstvoll konstruiert ist; vielmehr sieht er die kunstvolle Konstruktion, weil er an Gott glaubt: Gott kann nicht Teil des Bildes sein, er ist die Leinwand, die das ganze Bild trägt (wenn ich mich richtig erinnere, hat McGrath hier die Position eines anderen Geistlichen zustimmend referiert). Die Wissenschaft und die von ihr produzierte Erkenntnis sind somit nur Teil des Bildes; und können als solche die Leinwand ja gar nicht erklären, geschweige denn ihr etwas antun.

Was hat das nun konkret mit Abrahams alttestamentlicher Apologetik zu tun? Die Forderung nach Beweisen (die wir interessanterweise schon in diesem Gleichnis finden, viele 100 Jahre vor der naturwissenschaftlichen Revolution der frühen Neuzeit Europas), das macht Abraham deutlich, verfehlt die eigentliche Frage. Sich auf den „Diskurs der Beweise“ einzulassen, würde bedeuten, die Realität massiv zu beschneiden; es würde den Versuch bedeuten, mit nur einem Teil des Bildes, die Leinwand zu erklären, von der das Bild völlig abhängig ist und von dem es nur einen Teil darstellt.

Abraham deckt diese Realitätsverengung auf und zeigt uns, worauf es beim Glauben wirklich ankommt: auf Gottes Selbstoffenbarung im Gesetz Moses und in den Propheten, auf die Gottesoffenbarung im Alten Testament (und durch Jesus ebenso im Neuen Testament). Die Frage scheint sich somit zu verschieben. Sie lautet nicht mehr: Wo ist „mein Beweis“? Gott sitzt nicht auf der Anklagebank. Seine Frage lautet vielmehr: Warum glaubst du nicht meiner Offenbarung?

Der Glaube beginnt nicht mit dem Liefern von Argumenten, sondern mit der Offenheit (vielleicht sogar mit dem Wunsch und dem Willen), Gottes Offenbarung anzuerkennen. Wiederum möchte ich hier nicht missverstanden werden: Ich sage an dieser Stelle nicht, dass „traditionelle Apologetik“ wertlos ist. Nein, Petrus fordert von uns ja sogar die Bereitschaft, für unseren Glauben Gründe anzugeben (1. Petr. 3,15); und wenn wir mit Argumenten wie „Die Wissenschaft hat Gott doch schon lange widerlegt“ konfrontiert werden, dann sollten wir mehr sagen können als „Naja, darum heißt es ja Glaube, es hat mit der Wissenschaft sowieso nichts zu tun“. Außerdem müssen wir unbedingt bereit sein, ehrliche Fragen zu beantworten, hinter denen sich nicht einfach nur der Wille zum Unglauben verbirgt; ehrliche Fragen (welcher Natur auch immer) dürfen wir niemals einfach abtun und meinen, diese seien ja sowieso falsch.

Dennoch, so scheint es mir, relativiert Abrahams „seelenruhiger“ Verweis auf das Alte Testament und seine Ablehnung, den „ultimativen Beweis“ (jemand kehrt aus den Toten zurück) zu liefern, manch wohlgemeinten „Apologetikdrang“. Dieser kann nämlich dazu führen, dass wir sehr eifrig versuchen, jeden rationalistischen Einwand gegen den Glauben auch rational auszuhebeln; damit lassen wir uns aber, glaube ich, zu stark auf den (Wissenschafts)Diskurs des Skeptikers ein, bei dem es sich ja, wie wir gesehen haben, von vornherein um eine verengte Wahrnehmung handelt: Wir versuchen mit einem Teil des Bildes, die Leinwand zu erschließen. Diese Mühen will uns Abraham ersparen. Wir haben das Alte Testament; Mose und die Propheten haben uns Gottes Offenbarung nahegebracht; der Glaube kommt nicht aus dem Argument – sondern aus der Predigt (des Alten Testaments).

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