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Bibel & Theologie

Gedanken „ex nihilo“ (1): Gottes Schöpfung am Anfang der Zeit

James Tissot, The Creation, c. 1896-1902 (Bildquelle: Wikipedia)

Zugegeben, der Titel dieser Reihe könnte irreführend sein: Es sind sicher nicht meine Gedanken, die hier ex nihilo – also „aus dem Nichts“ – entstehen. Es geht mir um den Topos ex nihilo in der Bibel, also um das immer wiederkehrende Thema, dass etwas „aus dem Nichts“ entsteht. Bei einem solchen Unterfangen muss man allerdings sofort (vor)bemerken, dass wir hier an die Grenzen unseres Denkens stoßen. Was ist denn das „Nichts“? Wir können nicht, so scheint es, außerhalb von raum-zeitlichen Kategorien denken. Es gibt physikalische Theorien, die behaupten unser Universum würde expandieren – aber „wohin“ bzw. „in was“? Wo war das Universum, bevor es begann? Auch hartgesottene Materialisten werden an diesem Punkt „religiös“, zumindest in dem Sinne, dass sie von „tiefen Geheimnissen“ sprechen, die unserem Ursprung zu Grunde liegen.

Auch Dietrich Bonhoeffer beginnt seine Vorlesungen Schöpfung und Fall mit folgender Bemerkung:

An dem Ort, an dem die leidenschaftlichen Wellen unseres Denkens branden, in sich selbst zurückgeworfen werden und ihre Kraft verschäumen, setzt die Bibel ein. […] Dass die Bibel vom Anfang redet, das bringt die Welt, das bringt uns auf. Denn wir können nicht vom Anfang reden, dort wo der Anfang anfängt, hört unser Denken auf, ist es am Ende.

Bonhoeffer weist unser Denken, wie ich finde richtig und berechtigt, in die Schranken. Aber warum das Ganze? Haben wir als Christen nicht eine einfache Antwort auf die Frage nach dem Ursprung: nämlich Gott? Ja und nein. Auch als Christen – oder besser: gerade als Christen – dürfen wir es uns mit dieser Frage nicht zu leicht machen, denn es stimmt: es geht hier um Gott! Da müssen wir vorsichtig sein, damit wir uns keinen Götzen in unseren geschöpflichen und somit menschlich-beschränkten Kategorien zimmern.

Manche Atheisten (und vielleicht auch manche Gläubige?) stellen sich Gott sehr menschlich als eine Entität oder ein Wesen vor, das „irgendwo da draußen“ ja sein muss. Vielleicht im Weltall? Beobachtet er uns von „da oben“? Solche Vorstellungen zeugen von schlechter Theologie (auch wenn sie als Metaphern natürlich legitim sind), ja, von einem Nichternstnehmen des biblischen Zeugnisses, dass Gott eben ex nihilo geschaffen hat. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass Gott per Definition nicht Teil seiner Schöpfung ist und auch nicht sein kann.

Paul Janz berichtet in seinem Buch The Command of Grace, dass er als einziger Theist in einem stark atheistischen Philosophiedepartment manchmal in der Frage herausgefordert wurde, wie der Begriff „Universum“ zu verstehen sei. Analytisch definiert meint „Universum“ alles Existierende. Wenn also Gott existiert, muss seine Existenz Teil des Universums sein, schließt doch das Universum – analytisch definiert – alles das, was es gibt, ein. Und genau hier liegt der entscheidende Denkfehler. Janz zitiert Bonhoeffer, der diesen in einem schönen Wortspiel auf den Punkt gebracht hat: „Einen Gott, des ‚es gibt‘, gibt es nicht“. Was bedeutet das? Gott hat ex nihilo, aus dem Nichts geschaffen, was bedeutet, dass es viele Dinge gibt, dass viele Dinge existieren: Es gibt Bäume, es gibt Menschen, es gibt Ozeane, es gibt sogar das (expandierende) Universum. Das „es gibt“ lässt sich vor jeden erschaffenen Gegenstand setzen; in diesem Sinne „gibt es“ sehr viel – aber in gerade diesem Sinne „gibt es“ Gott nicht. Es kann Gott in diesem Sinne nicht „geben“, weil Gott eben nicht Teil der Schöpfung ist, sondern ihr Schöpfer.

Was sollen diese – zugegeben komplexen – philosophischen Gedankengänge? Nun, sie bewahren vor schlechten Argumenten gegen (und vielleicht auch für) Gott und somit auch vor einem falschen Gottesbild. Kennen wir den Einwand: „Ich glaube nur das, was ich sehen kann; Gott kann ich nicht sehen, darum gibt es ihn nicht“? Da ist es nämlich wieder, das falsche „es gibt“. Natürlich kann man Gott nicht sehen! Alles was sichtbar ist, ist notwendigerweise beschränkt; und als erschaffene und damit beschränkte Wesen können wir mit unseren erschaffenen und beschränkten Sinnen auch nur Erschaffenes und Beschränktes wahrnehmen: eben Dinge der Schöpfung. Gerade darum werden wir Gott niemals sehen können; nicht weil er „weniger real“ ist, sondern gerade weil er realer ist als alles andere. Alles Sichtbare – das erschaffene „es gibt“-Universum – hängt von der umfassenderen, unsichtbaren, alles erhaltenden ex nihilo-Realität Gottes ab. (Auf die falsche Forderung nach wissenschaftlichen Beweisen für Gott bin ich hier schon einmal eingegangen).

Vielleicht lässt sich das am Beispiel eines Buchautors deutlich machen: Vor 300 Jahren wurde Daniel Defoes Robinson Crusoe veröffentlicht. Der Protagonist dieses Romans hat somit einen Schöpfer. Gewissermaßen wurde Robinson ja sogar ex nihilo geschaffen, er entspringt der Imagination Defoes. Aber kann Robinson seinen Schöpfer sehen? Nein, natürlich nicht. Robinsons Universum ist das von Defoe erschaffene Universum des Romans. Robinson bewohnt eine Romanwelt, die von Defoe zwar erschaffen wurde, in der sich Defoe aber nicht als Teil aufhält (Robinson wird Defoe nicht finden, indem er bis zum Buchdeckel klettert), ja gar nicht aufhalten kann. Würde Robinson nun richtig folgern, wenn er behaupten würde, dass es Defoe nicht gibt? Einerseits ja! „Es gibt“ (da ist es wieder) Defoe ja tatsächlich nicht als Teil der Romanwelt. Robinson wird Defoe niemals sehen. Andererseits wäre es für Robinson geradezu verrückt, zu behaupten, es gebe Defoe nicht – denn er ist ja da, auf jeder Seite! Jeder Satz, jeder Buchstabe, jeder Punkt und jedes Komma kommen von ihm! Robinson ist kein kosmischer Unfall. Vielmehr ist ihm ein spannendes Abenteuer verordnet.

„Es gibt“ Defoe für Robinson also nicht und doch ist er da, alles kommt von ihm. Defoe ist für Robinson somit einerseits unerreichbar weit entfernt, was an der Schöpfer-Geschöpf-Unterscheidung liegt; andererseits ist Defoe Robinson unglaublich nah (viele näher als ein Schöpfer, den man im Buchdeckel finden könnte), Robinson kann ihm gar nicht entkommen, kann wirklich nichts ohne die erhaltende Feder Defoes tun. Für Robinson ist Defoe überall, allerdings nicht und niemals in einem pantheistischen Sinne (Defoe ist kein Roman, er ist Schöpfer eines Romans); die Schöpfer-Geschöpf-Unterscheidung bleibt zu jedem Augenblick bestehen.

„Es gibt“ Defoe nicht, aber er ist in allem – diese Logik lehrt uns die biblische Lehre der Schöpfung Gottes ex nihilo. „Einen Gott, den ‚es gibt‘, gibt es nicht“, hat Bonhoeffer richtig festgestellt. Gott ist! Den Gott, der aus dem Nichts erschaffen hat, kann es nicht in Abhängigkeit zu seiner Schöpfung geben. Gott ist und begründet damit alles abhängige – auch unser – Sein. Und genauso hat er sich ja auch Mose offenbart: „Ich bin der ich bin“.

Eine Antwort auf „Gedanken „ex nihilo“ (1): Gottes Schöpfung am Anfang der Zeit“

Danke für diesen anregenden Beitrag Harry,

vor allem das Beispiel Robinsons veranschaulicht das Verhältnis zwischen Gottes „Sein“ und unserem „Existieren“ sehr gut, wie ich finde.

Zu deinen Aussagen über die ex nihilo-Realität Gottes fielen mir gleich die passenden Verse aus Hebräer 1,1-3 ein. Vor allem der dritte Vers bringt es auf den Punkt:

„Durch Glauben verstehen wir, dass die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind, sodass die Dinge, die man sieht, nicht aus Sichtbarem entstanden sind.“

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