Zorn ist ein vom Schöpfer im Menschen angelegtes Potential, er ist also prinzipiell weder gerecht noch sündig. Entscheidend ist, wie diese Gemütsverfassung gebraucht wird. Um dem Kind im Umgang mit Zorn zu helfen, ist die Kommunikation unentbehrlich. Wenn das Kind in eine Problemsituation gerät, durch die es zum Zorn gereizt wird, wird es vermutlich auf eine der beiden sündigen Arten reagieren: entweder wird der Zorn sich in Wut und Geschrei entladen oder das Kind wird sich schmollend in sein Schneckenhäuschen zurückziehen. Beide Reaktionen sind schädlich. Die erste schadet naheliegenderweise den Personen im Umfeld des Kindes, die zweite vor allem dem zornigen Kind. Das zu vermeiden, ist das Ziel der Kommunikation. Worte können den Zorn befeuern, ihn aber auch besänftigen. Dabei ist es wichtig, wie Priolo deutlich macht, darauf zu achten, dass ich als Erzieher auf dreierlei Weise mit meinem Kind rede: Mit den Worten, dem Tonfall und mit Mimik und Gestik. Alle drei Kanäle sollen wir beherrschen und eben dazu wollen wir dem Kind verhelfen. Dass die Art und Weise der elterlichen Rede von großer Bedeutung für die Erziehung des Kindes ist, macht folgendes Zitat von Priolo deutlich: „Je disziplinierter Eltern sind, desto wahrscheinlicher ist ihr Erfolg bei der Kindererziehung.“[1]
Um diese Kommunikation zwischen Erzieher und Kind zu beschreiben, verwendet Priolo das dem Sport entlehnte Bild vom Training. Das Training beinhaltet nämlich die beiden Elemente belehren (wie wird es gemacht) und einüben (machen). Während die erste Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, Wahrheit zu vermitteln, zielt die zweite darauf ab, die verstandene Lektion umzusetzen. Dieses Einüben bezeichnet er als das „Gymnazo-Prinzip“, abgeleitet vom griechischen Verb gymnazo, das zum Beispiel im Appell Pauli an Timotheus vorkommt: „Übe dich aber in der Gerechtigkeit…“ (1Tim 4,17). Ich denke, dass es vielen Vätern so geht wie mir, dass man sich vorrangig der ersten Aufgabe widmet und die zweite unter den Tisch fallen lässt. Wenn das Kind lauthals davonläuft, weil es die heißersehnte Süßigkeit nicht bekommen hat, ruft der Vater aus dem Büro nur: „Du sollst nicht so schreien!“ und dabei bleibt es. Priolo würde in dieser Situation dazu appellieren mit dem Kind zu reden und ihm durch Übung beizubringen, wie es mit seinem Zorn umgehen soll. Übung beinhaltet das Tun des Kindes und das Anleiten und „Vorturnen“ des Erziehers. In diesem konkreten Fall könnte der Vater dem Kind helfen, seine eigenen Empfindungen zu verstehen und dem Kind dann darlegen, wie ein gottgefälliges Verhalten in dieser Situation aussehen könnte. Da das Kind vermutlich zunächst noch recht aufgebracht ist, könnte der Vater dieses Verhalten zunächst vormachen und dann, wenn das Kind heruntergekühlt ist, das Kind dazu anhalten, es ihm gleich zu tun. Um dem Leser die Notwendigkeit des Vormachens nahezubringen, führt er folgende Passage an:
Stellen Sie sich vor, Sie sollten ohne das „Gymnazo-Prinzip“ Ihrem Sohn beibringen, wie er sich eine Krawatte mit einem doppelten Windsorknoten umbindet, oder Ihrer Tochter vermitteln, einen Blätterteig anzurühren und auszurollen. Sofern Sie nicht unbegrenzte Zeit und Mittel haben, werden Sie irgendwann die rein mündliche Anweisung abbrechen und Ihrem Kind zeigen, wie es das richtig macht. Wenn das Gymnazo-Prinzip schon für das Beibringen solcher recht einfacher und irdischer Aufgaben unerlässlich ist, wie viel mehr ist dieses Prinzip dann nötig um beizubringen, wie man ewige Wahrheit anwendet und einen christlichen Charakter entwickelt![2]
Die Erziehung als Training bzw. „sportliche Disziplin“ zu betrachten, scheint mir persönlich aus mehreren Gründen eine hilfreiche Perspektive für den Erziehungsalltag zu sein. Zum einen macht es mir bewusst, dass die Veränderungen bei meinem Kind Zeit brauchen. So wie ich zunächst mit einer geschwommenen Bahn im Schwimmbad zufrieden war, aber nach einiger Zeit bereits zehn Bahnen absolvieren konnte, so muss auch das Kind trainieren, um das Gott-gefällige zu tun. Zum zweiten ist das Bild in meiner subjektiven Wahrnehmung stärker positiv und konstruktiv konnotiert als der Begriff Erziehung. Es fordert (sportlich) heraus und beinhaltet den Gedanken des „Sich-Weiterentwickelns“ des Kindes.
[1] Priolo, Lou: Rebellische Kinder. Was tun bei Herzen voller Zorn und Wut? S.58.
[2] Ebd. S.65.
2 Antworten auf „Kindererziehung als „Training““
Weiß jemand, wie sich die Gedanken von Priolo zu denen von Michael Pearl verhalten? Von dem Review von Challies war ich damals sehr geschockt (https://www.challies.com/book-reviews/how-not-to-train-up-a-child/). Ist Priolo da deutlich anders? Und was ist (Gutes/Schlechtes) am Trainigsbegriff dran?
Danke!
Hallo Klaus!
Danke für deine Nachricht. Ich möchte in Kürze meine Überlegungen zu deiner Frage formulieren.
Meine Antwort kann sich leider nur auf die von dir verlinkte Rezension gründen, da ich das Buch von Pearl nicht gelesen habe. Wenn ich mir die Rezension jedoch durchlese, scheint mir, dass beide ein unterschiedliches Bild vom Training als auch von der Rolle der Eltern haben.
Das Ziel des Trainings nach Pearl scheint mir der Kadavergehorsam des Kindes zu sein. Treffend beschreibt wikipedia diese Art von Gehorsam: „Als Kadavergehorsam bezeichnet man einen Gehorsam, bei dem der Gehorchende sich einem fremden Willen uneingeschränkt, wie ein willenloser Kadaver, unterwirft. Verwandt ist der Begriff „blinder Gehorsam“, dem zufolge der Gehorchende sich von einem fremden Willen wie ein Blinder von einem Sehenden führen lässt.“ Die geistige Überzeugung bzw. Überführung des Kindes spielen hier keine (besondere) Rolle. In Bezug auf die Eltern habe ich den Eindruck, dass diese bei Pearl eine diktatorische Rolle spielen.
Anders ist das bei Priolo. Bei ihm haben die Eltern die Rolle eines begnadigten Sünders, der dem anderen (evtl. noch nicht begnadigten) Sünder hilft. Hier hat das Training zum Ziel, dass das Kind nach der Belehrung das Richtige tatsächlich umsetzt. Die Perspektive Priolos ist die, dass allein Wissen noch nicht zum richtigen Handeln ausreichend ist. Dem Wissen muss die Tat folgen. Das Ziel des Trainings ist es, schlechte, automatisch ablaufende Gewohnheiten durch gute Muster zu ersetzen. Dass bei Priolo Belehrung (Überzeugung) und Training ein Paar bilden macht folgendes Zitat exemplarisch deutlich: „Will man ein Kind weise großziehen, müssen dabei Einübung (bzw. Training, d. Verf.) und Lehre stets Hand in Hand gehen.“
Ich hoffe, die Antwort ist dir eine Hilfe.
Schönen Gruß
Andy