Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich als Jugendlicher das Thema Apologetik für mich entdeckte und mit Begeisterung Werke wie Josh McDowells Die Fakten des Glaubens: Die Bibel im Test. Fundierte Antworten auf herausfordernde Fragen an Gottes Wort las. Jetzt, so dachte ich, bin ich gewappnet für die Verteidigung des Glaubens. Nur: Ich musste im Laufe der Jahre zunehmend feststellen, dass das nicht „funktioniert.“ Die vielen Argumente verpuffen, weil die Gesprächspartner sich gar nicht für die Fakten interessieren. Religion hat ihrer Meinung nach häufig nur die Funktion, unsere Emotionen anzusprechen; die Frage nach Fakten, nach Wahrheit stellt sich gar nicht. Was bringt das beste Argument für die Tatsache der Auferstehung, wenn dieses Thema an sich schon in der Schublade „unwissenschaftlich“ landet und das Gegenüber per Definition davon ausgeht, dass ein (unvernünftiger) „Sprung“ notwendig ist, um Christ zu werden?
Diesen Umstand greift Tim Keller in seinem Buch Glauben wozu? Religion im Zeitalter der Skepsis auf, das seit September auch auf deutsch verfügbar ist. Es ist in gewissem Sinne ein langes Vorwort zu seinem Buch Warum Gott? Vernünftiger Glaube oder Irrlicht der Menschheit?, in welchem er vernünftige Argumente für den christlichen Glauben anführt. In diesem Buch geht er einen Schritt zurück und versucht erst einmal, die Grundlage zu schaffen, um mit Skeptikern ins Gespräch zu kommen.
Seine Hauptthese ist, dass auch der säkular geprägte Mensch (kurz: jemand, der das Leben vollständig innerweltlich erklärt; alles Ewige wird ausgeschlossen) ein gläubiger Mensch ist. Keller zeigt deshalb im ersten Teil auf, dass jeder Mensch – ganz unabhängig von seiner Weltanschauung – seine Überzeugungen aus rationalen, emotionalen, kulturellen und sozialen Faktoren ableitet. Es gibt keine Weltanschauung, die auf „rein wissenschaftlichen Argumenten“ aufbaut. Jede Überzeugung beruht auf Annahmen, jeder von uns ist beeinflusst durch Menschen usw.
Im zweiten Teil des Buches beschäftigt er sich dann mit einigen grundlegenden Überzeugungen, die ein säkular geprägter Mensch hat. Er stellt dabei die christlichen Annahmen den säkularen gegenüber und prüft, inwiefern sie bessere Antworten auf die Fragen nach Sinn, Zufriedenheit, Freiheit, Identität, Moral und Hoffnung geben können.
Im dritten Teil führt er dann knapp einige Argumente an, die er in Warum Gott? aber ausführlicher bespricht.
Mit diesem Buch hat Tim Keller ein Werk vorgelegt, das eine wichtige Lücke schließt. Ich empfehle das Buch, wie auch viele seiner anderen, gerne weiter. Auch wenn man jedes Buch natürlich kritisch lesen sollte, würde ich der hier erwähnten Kritik an Tim Keller nicht zustimmen. Man verpasst viele wertvolle Impulse, wenn man Tim Kellers Bücher grundsätzlich aus dem Weg geht. Ich empfehle das Buch jedem, der nicht nur eine Debatte gewinnen, sondern mit dem Gegenüber tatsächlich in ein fruchtbares Gespräch treten möchte. Keller schafft eine Brücke zwischen Christen und den säkularen Zeitgenossen, indem er aufzeigt, dass beide glauben und beide nicht „rein vernünftig“ zu ihren Überzeugungen gekommen sind. Das führt dazu, seine eigene Position überzeugt, aber in Demut zu vertreten und die Zweifel und Glaubensannahmen des Gegenübers ernst zu nehmen. Bei allem Respekt für Josh McDowell, aber das geht in seinem Buch etwas unter. Im Ethik-Unterricht, wo häufig die verschiedensten Weltanschauungen aufeinander treffen, konnte ich deshalb bereits einige Auszüge aus dem Buch gewinnbringend verwenden.
Wer eine Einführung ins Buch von Tim Keller persönlich hören möchte, kann in die Talks at Google hineinhören, wo er Glauben wozu? vorstellt:
2 Antworten auf „Buchempfehlung: Glauben wozu? Religion im Zeitalter der Skepsis“
Ein Teil der Lücke ist bestimmt schon vorher durch C.S. Lewis mit dem Buch „Wunder“ geschlossen worden.
Hallo Matthias,
danke für deinen Kommentar. Ich habe „Wunder“ bisher nicht gelesen, vermute aber, dass Keller mit seinem Werk doch stärker in den heutigen Kontext spricht.
LG, Waldemar