Einleitung zur Artikelreihe: Mit der Reihe „Bedeutende Ereignisse mennonitischer Geschichte“ möchte ich anhand einiger wesentlicher Jahreszahlen einen groben Rahmen liefern, um die Geschichte der Russland-Mennoniten zu erfassen. Meine Absicht ist es vor allem bei denjenigen, die Nachfahren dieser Gruppierung sind oder sich hierzu zählen, Interesse an ihrer Geschichte zu wecken und zugleich Schubladen im positiven Sinne zu bieten, in die sie ihr bisheriges Wissen einsortieren können. Bisher sind in dieser Reihe Artikel zu den Jahren 1525, 1527, 1530, 1789, 1860, 1869 und 1902 erschienen.
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Nachdem das morsche Zarenregiment durch die Februar-Revolution zerbricht, führt acht Monate später die Oktober-Revolution in einen brutalen Bürgerkrieg.
1917 | Oktoberrevolution und beginnender Untergang der Kolonien
In diesen Wirren geraten die friedfertigen Mennoniten zwischen die Fronten. Die sogenannten Weißen kämpfen für die Einberufung einer Nationalversammlung mit dem Ziel der Demokratisierung des politischen Systems, die Roten hingegen für ein kommunistisches Russland, in dem alles Eigentum allen gehören und jeder das gleiche zur Befriedigung seiner Bedürfnisse erhalten soll. Die Mennoniten in der Ukraine (die Kolonien Chortiza und Molotschna) sehen sich noch zwei weiteren Gruppierungen gegenübergestellt: den Kämpfern für die Unabhängigkeit der Ukraine und den Machno-Banden. Besonders letztgenannte werden zu einem realen Albtraum für die Mennoniten. Regelmäßig überfallen sie die gut betuchten mennonitischen Dörfer, rauben, morden und vergewaltigen. Das mennonitische Geschichtsbuch führt uns die Bestialität dieser Truppen vor Augen:
Im Dorf Eichfeld wurden in einer Nacht von den Machnobanden 81 Männer und 4 Frauen ermordet, so daß von der ganzen männlichen Bevölkerung von über 16 Jahren nur zwei Greise am Leben blieben. Beschreiben können und wollen wir eine solche Mordnacht nicht.
In dem Hause eines anderen Dorfes hatten diese Unmenschen 8 Personen mit Säbeln die Köpfe abgehauen und dann diese Köpfe auf die Stühle gesetzt, damit der Familienvater, in dessen Abwesenheit dies geschah, wenn er nach Hause käme, beim Öffnen der Tür dieses schreckliche Bild vor sich haben sollte.[1]
Angesichts dieser grausamen Umstände ist es nicht verwunderlich, dass vor allem junge Männer ihre pazifistische Einstellung zumindest teilweise aufgeben und sich als „Mennonitischer Selbstschutz“ bewaffnet den Banden entgegenstellen, um ihre Frauen und Kinder zu schützen.
Aus den drei Jahren Bürgerkrieg gehen die Roten als Sieger hervor. Die Wirtschaft der mennonitischen Dörfer ist völlig zerstört, doch das Tal des Leidens soll damit noch nicht durchschritten sein. In ebendieser Situation treffen Trupps der Roten in den Dörfer ein, die alles Essbare wegreißen, um damit die Rote Armee zu versorgen. So kommt es einer schrecklichen Hungersnot, in der man notgedrungen, um zu überleben, sogar Ratten und Katzen isst. Diese Not hält in der Ukraine bis 1924, in Sibirien bis 1926 an.
[1] Penner, Gerlach, Quiring, Weltweite Bruderschaft; S. 154