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Gemeinsames Leben (3): Seelische Liebe als zerstörerisches Strohfeuer

Christliche Gemeinschaft besteht nur auf dem Fundament des Wortes Gottes und mit dem Fokus auf Jesus Christus. Deshalb ist sie auch eine pneumatische (durch den Heiligen Geist gewirkte) und keine psychische (aus natürlichen Kräften und Anlagen der menschlichen Seele kommende) Gemeinschaft, worin sie sich von allen anderen Gemeinschaften unterscheidet.

Der grundlegende Unterschied zwischen pneumatischer und psychischer Liebe besteht darin, dass die pneumatische Gemeinschaft allein auf das Wort Gottes in Jesus Christus aufbaut, während bei der psychischen Gemeinschaft neben dem Wort noch etwas anderes hinzukommt: der Mensch. Bonhoeffer erklärt:

In der geistlichen Gemeinschaft regiert allein das Wort Gottes, in der seelischen Gemeinschaft regiert neben dem Wort Gottes noch der mit besonderen […] Erfahrungen […] ausgestattete Mensch Dort bindet allein das Wort Gottes, hier binden außerdem noch Menschen an sich selbst. Dort ist alle […] Herrschaft dem Heiligen Geist übergeben, hier werden Macht und Einflußsphären persönlicher Art gesucht und gepflegt, gewiß, sofern es sich um fromme Menschen handelt, in der Absicht, dem Höchsten und Besten zu dienen, aber in Wahrheit doch, um den heiligen Geist zu entthronen.
(S. 27f.)

Wenn die Gemeinschaft nicht einzig auf das Wort Gottes aufgebaut wird, sondern ihren Bestand in menschlichen Bindungen hat, kann der Heilige Geist nicht wirken. Dies führt zu seelischen, nicht durch den Heiligen Geist bewirkten Bekehrungen, z.B. wenn sich ein Jugendlicher auf einer Freizeit bekehrt, weil die ganze emotionale Atmosphäre der Gemeinschaft ihn überwältigt, ohne dass er jedoch wirklich von der Sache überzeugt wurde. Deshalb schreibt Bonhoeffer auch:

Nichts ist leichter, als den Rausch der Gemeinschaft in wenigen Tagen gemeinsamen Lebens zu erwecken, und nichts ist verhängnisvoller für die gesunde, nüchterne, brüderliche Lebensgemeinschaft im Alltag. (S. 33f.)

Durch die Bindung an Menschen kommt es außerdem zu seelischer Nächstenliebe:

Sie ist zu den unerhörtesten Opfern fähig, sie übertrifft die echte Christusliebe oft weit an brennender Hingabe und an sichtbaren Erfolgen, sie redet die christliche Sprache mit überwältigender, zündender Beredsamkeit. Aber: […] Seelische Liebe liebt den Anderen um seiner selbst willen, geistliche Liebe liebt den Andern um Christi willen. […] Seelische Liebe hält nicht viel von der Wahrheit, sie relativiert sie, weil nichts, auch nicht die Wahrheit, störend zwischen sie und den geliebten Menschen treten darf. Seelische Liebe begehrt den Andern, seine Gemeinschaft, seine Gegenliebe, aber sie dient ihm nicht. Vielmehr begehrt sie auch dort noch, wo sie zu dienen scheint. (S. 29)

Wie zeigt sich das in der Gemeinschaft? Es kann sich auf zweierlei Weise zeigen. Erstens:

seelische Gemeinschaft kann die Aufhebung unwahr gewordener Gemeinschaft um der wahren Gemeinschaft willen nicht ertragen, (S. 30)

Das bedeutet ganz praktisch, dass z.B. keine Gemeindezucht geübt wird. Die Gemeinde wird auf Kosten der Wahrheit zusammen gehalten. Zweitens:

seelische Liebe kann den Feind nicht lieben, den nämlich, der sich ihr ernstlich und hartnäckig widersetzt. (S. 30)

Die seelische Liebe ist zwar bereit, große Opfer auf sich zu nehmen – aber nur solange der Andere der gleichen Meinung ist und damit das Begehren der seelischen Liebe befriedigt. Wenn Sie aber keine Befriedigung mehr erhält weil der Andere sich ihrer Meinung widersetzt, schlägt sie um „in Haß, Verachtung und Verleumdung“. Sie wird, ebenfalls auf Kosten der Wahrheit, lieblos.
Biblisch könnte man von Sadduzäern und Pharisäern bzw. geschichtlichlich von Liberalen und Gesetzlichen Christen sprechen. Beide Parteien bauen auf die seelische Liebe, auch wenn die Auswirkungen gegensätzlich sind. Die Wurzel ist dieselbe.

Wodurch zeichnet sich dagegen die pneumatische Gemeinschaft bzw. die geistliche Liebe aus?

Darum ist geistliche Liebe allein an das Wort Jesu Christi gebunden. Wo Christus mich um der Liebe willen Gemeinschaft halten heißt, will ich sie halten, wo seine Wahrheit um der Liebe willen mir Aufhebung der Gemeinschaft befiehlt, dort hebe ich sie auf, allen Protesten meiner seelischen Liebe zum Trotz. (S. 30)

Dieser Satz hat fundamentale Bedeutung. Christliche Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft unter der Regierung des Wortes Gottes! Geistliche Liebe entspringt allein aus diesem Wort! Alles andere führt nur zu einem Strohfeuer, das letztlich zerstörerisch um sich frisst. Was bedeutet diesen Gebundensein an das Wort für den Umgang mit dem (machmal schwierigen) Bruder?

Darum wird geistliche Liebe sich darin bewähren, daß sie den Andern in allem, was sie spricht und tut, Christus befiehlt. Sie wird nicht die seelische Erschütterung des Andern zu bewirken suchen durch allzupersönliche, unmittelbare Einwirkung, durch den unreinen Eingriff in das Leben des Andern, sie wird nicht die Freude haben an frommer, seelischer Überhitzung und Erregung, sondern sie wird dem Andern mit dem klaren Worte Gottes begegnen und bereit sein, ihn mit diesem Wort lange allein zu lassen, ihn wieder frei zu geben, damit Christus mit ihm handle. Sie wird [einerseits] die Grenze des Andern achten, die durch Christus zwischen uns gesetzt ist, und sie wird [andererseits] die volle Gemeinschaft mit ihm finden in dem Christus, der uns allein verbindet und vereinigt. (S. 31, eigene Hervorhebung)

Keine Angriffe auf persönlicher Ebene, sondern nur mit dem Wort als Mittler. Keine Überschätzung der eigenen Überzeugungskraft, sondern Vertrauen auf das wirksame Wort Gottes.

Bonhoeffer fasst das erste Kapitel zusammen:

Es gibt wohl keinen Christen, dem Gott nicht einmal in seinem Leben die beseligende Erfahrung echter christlicher Gemeinschaft schenkt. Aber solche beseligende Erfahrung bleibt in dieser Welt nichts als gnädige Zugabe über das tägliche Brot christlichen Gemeinschaftslebens hinaus. […] Nicht die Erfahrung der christlichen Bruderschaft, sondern der feste und gewisse Glaube an die Bruderschaft hält uns zusammen. […] Im Glauben sind wir verbunden, nicht in der Erfahrung. (S. 34)

aus: Dietrich Bonhoeffer: Gemeinsames Leben, Kaiser: Gütersloh 1988.

6 Antworten auf „Gemeinsames Leben (3): Seelische Liebe als zerstörerisches Strohfeuer“

Hallo Waldemar!
Du schreibst:

„Der grundlegende Unterschied zwischen pneumatischer und psychischer Liebe besteht darin, dass die pneumatische Gemeinschaft allein auf das Wort Gottes in Jesus Christus aufbaut, während bei der psychischen Gemeinschaft neben dem Wort noch etwas anderes hinzukommt: der Mensch.“

In der Gemeinde bzw. allg. in christlicher Gemeinschaft darf die GRUNDLAGE der Gemeinschaft NUR das Wort Gott sein – sonst enden wir in „psychischer Liebe“ – das ist richtig und nachvollziehbar. Aber wird damit „psyschische Liebe“ in (christlicher) Gemeinschaft grundsätzlich ausgeschlossen? Meine Freunde z.B., die Christen sind, liebe ich natürlich um Christi Willen, aber da ist doch auch die „menschliche“ Komponente – schließlich habe ich nicht zu allen Christen die Beziehung, die ich zu meinen Freunden habe.

@Harry: Danke für die Anmerkung. Ich habe es nicht deutlich genug beschrieben. Es geht tatsächlich um die GRUNDLAGE der Gemeinschaft. Wir kommen an seelischer Liebe gar nicht vorbei, aber sie soll unsere Handlungen nur in Unterordnung unter das Wort Gottes bestimmen. Deshalb schreibt Bonhoeffer auch, dass ich dem Wort Gottes gehorchend manchmal „allen Protesten meiner seelischen Liebe zum Trotz“ handeln muss. Es geht Bonhoeffer darum, die Gefahr zu verdeutlichen, dass die seelische Liebe zum bestimmenden Faktor wird.
P.S. Ich würde übrigens auch hier in Objekt-Subjekt-Relationen denken.

@Waldemar: Was meinst du hier mir „Objekt-Subjekt-Relationen“?
Könntest du das bitte näher erläutern? Auch grade in diesem Zusammenhang hier.

@Donatus: Die Frage nach dem Verhältnis von Gottes Souveränität und menschlicher Verantwortung lässt sich m.E. als Subjekt-Objekt-Verhältnis beschreiben (aber es erfasst die Sache auch nicht ganz vollständig, denn unsere menschliche Logik stößt hier an Grenzen). Der einzelne Mensch (Subjekt) ist voll (100%) verantwortlich, weil der alles in seiner Hand haltende Gott (Objekt) alles (100%) macht (Philipper 2,12.13). Diese Spannung muss ausgehalten werden (100-100), jedoch ist das Subjekt eingebettet ins Objekt. Das Objekt bildet die Grundlage.
Hier: Die pneumatische Liebe bildet die Grundlage, die seelische entspringt aus ihr. Sie ist keinesfalls abzulehnen, sollte jedoch nicht zur Basis gemacht werden. Eine rein pneumatische Liebe ist auch Unsinn, da Lehre und Leben immer zusammenhängen.

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