Einleitung zur Artikelreihe: Mit der Reihe „Bedeutende Ereignisse mennonitischer Geschichte“ möchte ich anhand einiger wesentlicher Jahreszahlen einen groben Rahmen liefern, um die Geschichte der Russland-Mennoniten zu erfassen. Meine Absicht ist es vor allem bei denjenigen, die Nachfahren dieser Gruppierung sind oder sich hierzu zählen, Interesse an ihrer Geschichte zu wecken und zugleich Schubladen im positiven Sinne zu bieten, in die sie ihr bisheriges Wissen einsortieren können. Bisher sind in dieser Reihe Artikel zu den Jahren 1525, 1527, 1530, 1789 und 1860 erschienen.
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Die ersten vier Jahre nachdem die mennonitischen Dörfer durch die Entstehung der Mennoniten-Brüdergemeinden erschüttert wurden, sind von unrühmlichen Auseinandersetzungen gekennzeichnet, die selbst die russische Obrigkeit beschäftigen. Während die Kirchgemeinde durch böse Verfolgung der Brüder auffällt, treten einige der Brüder durch wilde Schwärmereien in Erscheinung. Doch im Jahre 1865 ebben diese unheiligen Wellen ab, so dass beide Gemeinden zu einer normalem Umgangsart miteinander finden und ein grundlegendes, bisher aber unterbelichtetes Thema aufkommt: Mission.
1869 | Der Missionsbefehl wird „entdeckt“
Hermann Heidebrecht schreibt über die Auswirkungen der Trennung unter der Kirchgemeinde:
Die alte Gemeinde wurde durch diese Ereignisse aufgerüttelt. Ein lebendiges, tätiges Christentum hielt bald auch in diesen Gemeinden Einzug. […] In den ersten Jahren in Russland war vom Missionseifer der früheren Täufer und jetzigen Mennoniten nicht viel zu spüren. Schon in Preußen war wohl vielen der Missionsgedanke mehr oder weniger verloren gegangen. […] Dies mag ein Grund dafür sein, warum die mennonitische Glaubensgemeinschaft doch recht klein geblieben war und ist. […] Durch die Erweckungsbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich allmählich unter den Mennoniten in Russland ein reges Interesse an der Missionstätigkeit. 1869 konnte das holländische Missionskomitee den Missionar Heinrich Dirks aus der kirchlichen Mennonitengemeinde zu Gnadenfeld in Südrussland nach Indonesien auf die Insel Sumatra aussenden.[1]
Otto Wiebe stellt den neu entfachten Eifer für den Missionsauftrag unter den „Brüdern“ folgendermaßen dar:
Die Mennoniten lebten seit 1789 im großen Russischen Reich in geschlossenen Siedlungen und hatten zu den einheimischen Völkern (Russen, Ukrainer, Nogajer) nur notwendige Geschäftsverbindungen. […] Auch wenn es hier und da Ausnahmen gab, so begann die wirkliche Beschäftigung mit dem Seelenheil der Nachbarn erst mit der Entstehung der Mennoniten-Brüdergemeinde. […] Nachdem das erste Bethaus eingeweiht worden war, erwachte in der Gemeinde die feste Überzeugung, dass „die Verbreitung des Evangeliums unter Russen und Ukrainern als erste missionarische Aufgabe“ anzusehen sein. Diese Meinung teilten eigentlich viele, obwohl kaum jemand damals die einheimische Sprache beherrschte. Gott machte dennoch Mission möglich: Das Überwinden der Sprachbarrieren gehörte zu einem großen Wunderwirken unter seinen Kindern. Verschiedene Brüder fingen nun an, das Predigen in Russisch zu lernen. Man spürte die kindliche Freude über Gottes Segnungen […]. Die erste Taufe des Ukrainers Jefim Cimbal vollzog Prediger Abarm Unger am Pfingstfest 1869.[2]
Auf diese Weise entstehen neue Gemeinden, die jedoch aufgrund der politischen Bedeutung des Namens „Mennoniten“ als russische Baptistengemeinden geführt werden.
[1] Heidebrecht, Herman; „Fürchte dich nicht, du klein Herde!“ S.45ff
[2] Wiebe, Otto; „Mennoniten-Brüdergemeinde“ S.20ff