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Schicksalsschläge und die Barmherzigkeit Gottes

Was passiert mit unserem Glauben, wenn uns schweres Leid zuteilwird, das wir nicht verstehen? Erwarten wir, dass Gott nur das zulässt, was (in unseren Augen) „gut“ ist? Was geschieht, wenn plötzlich das Unerwartete eintrifft? Wenn Leid kommt? „Darf“ Gott das? Wie reagieren wir? Werden wir dann bitter? Aber was ist denn eigentlich gut? Hängt das nicht auch von dem jeweiligen Blickwinkel ab? Eine göttliche „Bestrafung“, hat J.R.R. Tolkien festgehalten, sei, wenn angenommen, auch eine göttliche „Gabe“, durch die Gott Gutes bewerkstelligt, das anders nicht hätte erreicht werden können.

In John Michael McDonaghs Film Calvary (dt.: Am Sonntag bist du tot) wird die Geschichte eines irischen Priesters, Pfarrer James, erzählt, dem eines seiner Gemeindemitglieder während der Beichte eröffnet, es werde ihn nächsten Sonntag am Strand töten. Der Grund dafür ist die Vergewaltigung durch einen bereits verstorbenen Priester, für die sich das Gemeindeglied an einem guten Priester, Pfarrer James, rächen möchte – einen guten Priester an einem Sonntag zu töten, das würde doch mal ein Statement abgeben. In dem Film geht es um die Woche bis zum entscheidenden Sonntag, in der sich der Pfarrer um seine nicht einfache Gemeinde kümmert und versucht, einen Unterschied zu machen.

An einem der Tage muss Pfarrer James ins Krankenhaus, um einem noch recht jungen französischen Ehepaar beizustehen. Ein Ehepaar ist es aber eigentlich gar nicht mehr – was Pfarrer James noch tun kann, ist dem bei einem Autounfall ums Leben gekommene Ehemann die Sterbesakramente zu spenden. Das anschließende Gespräch mit der Witwe, Teresa, finde ich unglaublich bewegend.

Teresa fragt den Priester, ob dieser die Sterbesakramente schon vielen Menschen gespendet habe. Natürlich, antwortet dieser, allerdings meist bei älteren Leuten. Da habe man Zeit, sich vorzubereiten; man wisse, was komme. Es sei leichter, erwidert Teresa. Das sei es niemals, wendet darauf Pfarrer James ein, vielleicht verständlicher, nicht so unfair wie bei Teresa. Die Menschen seien schockiert, verfluchten Gott und den Nächsten, manche würden sogar ihren Glauben verlieren. Sie verlieren ihren Glauben?, fragt Teresa und ergänzt, dass es sich wohl nie um einen richtigen Glaube gehandelt haben könne, wenn es für sie so leicht sei, diesen zu verlieren. Was ist Glaube?, fragt der Priester. Für die meisten sei Glaube nicht mehr als die Furcht vor dem Tod – und wenn da nicht mehr dabei sei, dann könne man diesen sehr leicht verlieren. Ob ihr Ehemann ein guter Mann gewesen sei, fragt Pfarrer James weiter. Ja, antwortet Teresa, er war ein guter Mann und ein gutes Leben hätten die beiden gelebt, sich sehr geliebt und nun sei er gegangen – und das sei nicht unfair, fährt sie fort, das sei einfach, was passiert ist. Aber viele Menschen würden kein gutes Leben leben, keine Liebe fühlen – und das sei unfair, sie habe Mitleid mit diesen Menschen.

Diese Szene zeigt, wie ich finde, eindrücklich, welche Kraft der Glaube in Zeiten von unglaublicher Not und Schicksalsschlägen spenden kann (auch wenn „Schicksal“ hierwahrscheinlich nicht das richtige Wort ist, richtet sich christlicher Glaube jagerade gegen ein willkürliches Schicksalsverständnis). Es ist faszinierend zu sehen, wie Teresa feststellt, dass Menschen, die ihren Glauben angesichtsderartiger Schrecken „so leicht“ verlieren würden, wohl nie einen richtigen Glauben gehabt haben. Dann finde ich es sehr beeindruckend, wie sie in dieser Situation nicht in verzweifeltes Selbstmitleid versinkt, sondern noch mit den Menschen mitempfindet (und mitempfinden kann), denen der Segen eines guten Lebens verwehrt geblieben ist.

Manche Menschen halten den Glauben für eine Krücke, die dabei helfen kann, schwere Zeiten zu überstehen, wenn man in sich selbst nicht die Kraft findet, mit dem Leben fertig zu werden. Das kann man natürlich so sehen, doch halte ich eine solche Sichtweise für verkürzt. Zum einen könnte man – ganz pragmatisch – nach dem „Mehrwert“dieser Sichtweise fragen: Was bringt es denn, erfahrenes Leid ohne Glauben zu konfrontieren? Wird es dadurch leichter ertragbar? Lässt es sich besser bewältigen, wenn man sich bewusst macht, dass beispielsweise der Tod eines geliebten Menschen nicht mehr und nicht weniger als eine willkürliche Laune der Natur ist? Mehr noch, kann man ohne Glauben an Gott überhaupt von „Leid“ sprechen? Muss Leid nicht gewissermaßen als „Abweichung“ von einem (objektiv) Guten gesehen werden?Und können wir das Gute ohne Gott überhaupt konstatieren?

Zum anderen könnte man aber auch die Frage stellen, warum denn der Glaube überhaupt als Krücke verstanden werden sollte? Ist er nicht vielmehr ein Geschenk, eine gottgegebene Ressource, die dem Gläubigen – im Gegensatz zum Ungläubigen – ganz andere Möglichkeiten eröffnet, dem Leid in dieser Welt zu begegnen? Damit ist nicht gesagt, dass der Gläubige Leid notwendigerweise „leichter“ ertragen kann. Es ist ja nicht so, dass Gläubige Antworten auf alle Fragen hätten. Auch frage ich mich, ob es nicht manchmal sogar schwieriger sein kann, glaubensvoll Zweifel und Bitterkeit zurückzuweisen und der Verzweiflung keinen Raum zu geben?

Im gläubigen Gottvertrauenmachen wir uns verletzbar (da hat es der ungläubige Zyniker vielleicht besser?), aber durch gläubiges Gottvertrauen erhalten wir auch die Kraft dem Leid zu begegnen, Gottes Liebe immer wieder in Anspruch zu nehmen, ihm auch weiterhin zu vertrauen und unsere Mitmenschen zu segnen – wie Teresa. All das ist im Glauben möglich. Warum? Weil sich Gott selbst verletzbar gemacht hat. Im gläubigen Gottvertrauen hat Jesus am Kreuz das Leid dieser Welt getragen, ist daran zugrunde gegangen – und konnte doch vom Tod nicht gehalten werden. Die Auferstehungshoffnung gibt uns die Sicherheit, dass das Leid nicht das letzte Wort haben kann.

Bei Teresa handelt es sich natürlich „nur“ um einen fiktionalen Charakter aus einem Film. Aber das in Calvary dargestellte Leid ist nicht unrealistisch. Danny Plett hat in seiner Familie etwas nicht unähnliches erlebt. Hier erzählt er, wie sein Lied „Du bist barmherzig“ entstanden ist:

Natürlich hat der so unverständliche Tod seines Bruders schwerwiegende Fragen aufgeworfen: Gott, warum? Auch fragt sich Plett, was dieser Verlust mit seinem Glauben macht: Fängt er an zu Zweifeln? Ist er böse auf Gott? Lässt er Verbitterung herrschen? Plett antwortet im Glauben: „Du bist barmherzig“:

Hier die englische Version „Great Is Your Glory“:


2 Antworten auf „Schicksalsschläge und die Barmherzigkeit Gottes“

Lieber Johnny,

Vielen Dank für deinen Kommentar und dein Mitdenken (entschuldige, dass ich mich erst jetzt zurückmelde). Kurz: Doch, ich bin mir durchaus bewusst „wen ich da zitiere“, wenn ich von Tolkien und Lewis spreche. Tatsächlich habe ich in meinem geistlichen Leben von beiden profitiert.

Auch habe ich (unabhängig und auch schon vor deinem Kommentar) darüber nachgedacht, in einer Artikelreihe auf den Hobbit, Narnia und Tolkiens Essay „Über Märchen“ einzugehen. In dieser Reihe (und vielleicht auch darüber hinaus) werde ich in nächster Zeit intensiver auf diese Frage(n) eingehen – bleib also dran 😉

An dieser Stelle möchte ich aber vorab doch auf den Artikel von David Cloud eingehen, der ja bei Betanien in deutscher Übersetzung erschienen ist:

Ein grundlegendes Problem scheint mir zu sein, dass Cloud darauf verweist, dass er als Nichtchrist die Bücher gelesen hat und sicher nichts damit zu tun haben wollen würde, wenn er die Wahrheit Gottes darin entdeckt hätte; auch die Hippies haben diese Bücher geliebt, was für Cloud ein Argument gegen Tolkien ist; dann wird als Argument angeführt, Tolkien sei der Vater eines okkulten Rollenspiels; und Tolkien wird von Rockmusikern geliebt – aus all dem folgert Cloud: „Die Welt kennt das Ihrige, und wenn die dämonische Welt der Fantasy-Rollenspiele und die moralisch dreckige Welt der Rockmusik etwas liebt, können wir sicher sein, dass es nicht von Gott und nicht die Wahrheit ist.“
Das Problem dabei ist, dass hier die WELT diktiert, was richtig bzw. falsch ist: die Welt liebt es, also müssen Christen es ablehnen. Wir dürfen uns aber nicht von der Welt vorschreiben lassen, was wir lieben bzw. ablehnen: nein, das müssen wir aus der Schrift ableiten. (Es scheint mir übrigens, dass Clould in dem bei manchen Russlanddeutschen sehr beliebten Buch „Privatsache Kleidung“ ähnlich argumentiert: die Welt möchte mit ihrer Kleidung das und das erreichen: wir als Christen sollten also in die komplett andere Richtung fahren – als Christen müssen wir aber unsere Ethik aus der Schrift ableiten). Natürlich wird es da zu krassen Unterschieden mit der Welt kommen! Diese Unterschiede müssen aber aus der Schrift erwachsen; nicht aus der Agenda der Welt, die wir einfach umdrehen.

Die inhaltliche Kritik von Cloud bleibt sehr vage: er gesteht ein, dass er viele Details vergessen hat, sich aber an die okkulte Symbolik erinnert: so behauptet er, Tolkiens Fantasy enthalte „weiße“ und „schwarze“ Magie; dann führt er noch konkret an, dass Tote angerufen werden, um Lebenden zu helfen, was die Bibel ja verurteilt.
Ich weiß nicht genau, was Cloud mit weißer und schwarzer Magie meint: wahrscheinlich ist für ihn Gandalf ein „weißer Magier“ (genau genommen ist Gandalf in Tolkiens Mythologie aber ein Engelswesen). Wie dem auch sei: das Argument, so wie ich es verstehe, funktioniert so: die Bibel verurteilt Zauberei, Gandalf ist ein Zauberer, die Bibel verurteilt Herr der Ringe.
Dem würde ich entgegenhalten: Was haben wir denn in der Bibel? Keine Zauberei? Mose teilt nur das Rote Meer? Es werden nur Tote wieder zum Leben erweckt?… Ein Beispiel: Mose trifft die Magier Ägyptens: diese verwandeln ihre Stäbe zu Schlangen und auch Mose verwandelt seinen Stab zu einer Schlage; äußerlich passiert hier dasselbe (und Moses Stab/Schlange verschlingt die anderen), der entscheidende Unterschied ist, woher man seine Macht bezieht. Magie ist Macht bzw. Autorität, die Frage ist: woher hast du sie, wie setzt du sie ein?
Zauberer in literarischen imaginären Welten (Mittelerde, Narnia) können nicht einfach mit Zauberern in unserer Welt gleichgestellt werden, das ist zu einfach gedacht. Man könnte vielleicht eher sagen, dass diese in der imaginären Welt das sind, was z.B. im AT die Propheten sind, die ja auch Wunder vollbringen (hier werden manche einwenden: oh, dann werden Kinder die Bibel auch nur für ein ausgedachtes Märchen halten; meine Erfahrung bestätigt das allerdings nicht – wenn jemand von solchen Kindern weiß, korrigiert mich bitte.)
Kurz zu den Toten: Es sind die UNTOTEN, die von Aragorn gerufen werden, damit sie ihren nicht geleisteten Eid erfüllen und endlich in Ruhe sterben können.

Dann zur Allegorie: wenn Christen behaupten, es handele sich um Allegorie, liegen sie einfach falsch. Der Herr der Ringe ist keine Allegorie und es stimmt schon, dass Tolkien diese verabscheute (weshalb er auch Narnia nicht mochte). Das macht das Werk aber nicht unchristlich; Tolkien selbst sagt in Brief 142 (hier https://timedotcom.files.wordpress.com/2014/12/the_letters_of_j.rrtolkien.pdf) von mir frei übersetzt:

„Der Herr der Ringe ist natürlich ein fundamental religiöses und katholisches Werk; zunächst unbewusst, aber in der Rückschau wird es bewusst. Darum habe ich praktisch auch nichts hineingetan, oder habe ich herausgenommen, was eine Referenz auf „Religion“ ist, was auf Kulten oder Praktiken in der imaginären Welt hindeutet. Denn das religiöse Element ist absorbiert in der Geschichte und dem Symbolismus. Wenn das auch sehr plump gesagt ist und „selbst-wichtiger“ klingt, als ich mich fühle. Denn tatsächlich habe ich sehr wenig bewusst geplant; und ich sollte hauptsächlich dankbar dafür sein, dass ich im Glauben (seit ich 8 Jahre alt war) erzogen wurde, der mich genährt und mich all das Wenige gelehrt hat, was ich weiß.“

Was Tolkien hier sagt, ist, dass er keine christliche Allegorie „planen muss“: weil seine Weltanschauung durch und durch christlich ist, ist diese – ganz unbewusst – in die Geschichte eingeflossen. Und die christliche Symbolik ist ja nicht zu verkennen: Gandalf kämpft mit dem Balrog, stürzt in den Abgrund und kehrt doch als Gandalf der Weiße zurück (Auferstehung). Aragorn ist der wahre König, der daran erkannt wird, dass er heilende Hände hat (und nachdem er Faramir geheilt hat, will dieser direkt für ihn kämpfen, denn wer will schon im Bett bleiben, wenn er weiß, dass der König gekommen ist, …)
Natürlich kann man als Nichtchrist den Herrn der Ringe einfach als spannenden Roman lesen. Für mich als Christ war es unmöglich, die tieferliegende christlich Perspektive zu übersehen.

Wenn Hans-Werner Deppe, der den Artikel ja übersetzt hat, in seiner Anmerkung anführt, dass Tolkien die Evangelien ins Reich der Märchen, seine Trilogie aber ins Reich der Wahrheit rückt, verkennt er Tolkiens (brillantes) Argument. Zunächst versteht Tolkien die Evangelien ganz sicher nicht als Märchen, wenn man unter Märchen Fiktion versteht. In Brief 250 (siehe Link oben) schreibt er (frei übersetzt):

„Ich halte es für einen fantastischen Willen des Unglaubens anzunehmen, dass Jesus niemals wirklich ‚passiert ist‘, und mehr noch anzunehmen, dass er die Dinge, die von ihm aufgezeichnet sind, nicht gesagt hat […] Wir müssen darum entweder an ihn glauben und an das was er gesagt hat und die Konsequenzen auf uns nehmen; oder ihn ablehnen und die Konsequenzen tragen.“

Was Tolkien in „Über Märchen“ tatsächlich argumentiert ist, dass die Evangelien Elemente von Märchenerzählungen enthalten – das wertet die Evangelien aber nicht ab, sondern wertet die Märchen auf! Die freudigen Wendungen, die Märchen ausmachen (Liebe gewinnt, das Böse wird besiegt), sind in Jesus ALS FAKT in Zeit und Raum eingedrungen: das Böse ist besiegt, Liebe hat gesiegt. Die Jesusgeschichte ist das Märchen, das WIRKLICH PASSIERT ist – damit hat es die anderen Märchen nicht abgeschafft, sondern „geheiligt“ (Tolkien gebraucht dieses Wort). In diesem Sinn ist Gott auch Gott der Elben.
Vgl. auch diese Ausführungen von Tim Keller: https://www.youtube.com/watch?v=EPcLie0HDXE

Ein letztes Wort zu C.S. Lewis: Wenn Cloud behauptet, dass sich C.S. Lewis einfach nur „herauspickte“, was er von der apostolischen Lehre glauben wollte (und was nicht), dann ist das entweder extrem unwissend, oder einfach nur unverschämte Falschdarstellung. Man muss nur Lewis‘ Autobiografie lesen, um zu sehen, dass er WIDERWILLIG Christ wurde; er wollte nicht, wurde aber überzeugt und hat die richtigen Konsequenzen gezogen. Und auch in seinem Leben als Christ hat er ganz sicher nicht willkürlich irgendwelche Lehren herausgepickt.
Dass Lewis nicht der klassische Evangelikale war, ist richtig. Man muss (und sollte) auch nicht alles so glauben wie er. Wenn man aber Leute wie Lewis nicht im „christlichen Boot“ haben kann, dann sollte man sich, glaube ich, schon die Frage stellen, ob man sich vielleicht selbst vom christlichen Boot gestohlen hat und mit einem kleinen Rettungsboot in den himmlischen Hafen einlaufen möchte (das ist jetzt gar nicht böse gemeint; vielmehr sehe ich tatsächlich die Gefahr, dass man das Reich Gottes kleiner macht als es ist – und dass ist genauso falsch, wie es größer zu machen, als es ist). Zu C.S. Lewis hat übrigens John Piper von ein paar Jahren eine Konferenz abgehalten. In seinem Vortrag „Lessons from an Inconsolable Soul“ geht Piper auf die Frage ein, warum Lewis ihn so positiv geprägt, obwohl Piper viele seiner theologischen Überzeugungen für problematisch hält. Auch Lyle Dorsetts Vortrag „C.S. Lewis and the Care of Souls“ kann ich nur sehr empfehlen – die Vorträge sind bei YouTube.

Liebe Grüße
Harry

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