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Leben als Christ

Interview mit Hanniel Strebel: „Ich führe mich, weil Gott mich führt“ (2)

Welcher Bereich der Selbstführung ist grundlegend? Womit sollte man anfangen?

Wir Menschen sind „teleologische Wesen“. Wir haben ein Streben verinnerlicht. Dieses Streben ist erst gestillt, wie es Augustinus am Anfang seiner „Bekenntnisse“ schreibt (lies den wunderbaren Einstieg), wenn es auf Ihn selbst gerichtet ist. Darin besteht der wichtigste und grundlegende Bereich der Selbstführung: Worauf ist mein Streben hier und jetzt gerade gerichtet? Wir können uns endlos um Selbstoptimierung bemühen. Ich spreche von „Götterwechsel“. Der Beruf befriedigt uns nicht mehr, also suchen wir uns eine neue Ausbildung oder eine neue Stelle. Wir fühlen uns im Beruf nicht mehr bestätigt, also kündigen wir und unternehmen eine Weltreise. Oder wir beginnen mit einem neuen Hobby. Nichts gegen Stellenwechsel, Reisen oder Hobbys an und für sich. Die entscheidende Frage lautet, was uns antreibt, immer wieder zu neuen Ufern aufzubrechen.

Ich bin darüber besorgt, dass wir endlos nach neuen Ratgebern verlangen, wie wir besser arbeiten, besser Beziehungen pflegen, besser Kinder erziehen, besser unsere Freizeit verbringen können. Die Flut an Ratgebern erweist sich als Symptombekämpfung. Die Frage müsste zuerst lauten: Was bist du unruhig in mir, mein Herz? Was treibt mich an? Weshalb tue ich, was ich tue? Ich vermute, dass aus der ehrlichen Beantwortung der Fragen ganz andere Prioritäten hervorgehen würden.

Viele Apps versprechen uns, unseren Tag effizienter zu gestalten, unsere Notizen zu organisieren und ähnliches. Nutzt du Apps oder Programme für die Organisation deiner Termine, Projekte und Aufgaben? Wenn ja, welche?

Die kurze Antwort lautet: Ich nutze keine Apps und Programme. Darauf bin ich nicht stolz. Ich wäre gerne „professioneller“ in der Nutzung von elektronischem Kalender, to do-Apps und anderen Hilfsmitteln. Tatsächlich nutze ich eine simple Struktur für sämtliche Tätigkeiten.

Die erste und wichtigste Struktur ist der einzelne Tag. Meine Söhne kennen den Satz: „Ich lebe heute.“ Besonders seit meiner schweren Operation vor einigen Jahren bin ich mir bewusst, dass dieser heutige Tag der letzte sein könnte. Also gilt es diesen Tag zu nützen. Das bedeutet nicht, dass ich ihn „auspresse“. Im Gegenteil beginnt ein gesegneter Tag mit einer gesegneten Nacht. (Ich habe eben ein Buch zum Thema „Schlafen“ geschrieben.) Gott hat uns diesen Grundrhythmus geschenkt. Es gilt die Wachzeit weise vor Ihm zu verwalten.

Das zweite strukturelle Element ist die Woche. Unser Körper erholt sich im Sieben-Tage-Rhythmus. Der Sonntag steht bei mir – dank regelmäßiger Arbeit – für die Gemeinschaft mit Gott und anderen Menschen zur Verfügung. Zwei bis drei Tage verbringe ich lesend und schreibend zu Hause. Die restlichen Tage bringe ich in einem großen Unternehmen zu. Jeder Wochentag erfüllt eine Funktion, und an jedem Tag habe ich eine (unterschiedliche) Menge an Energie zur Verfügung.

Für den Tages- und Wochenrhythmus habe ich viel aus Verena Steiners Buch „Energiekompetenz“ gelernt.

Das dritte Element dürfte keine Überraschung mehr sein. Es sind die Jahreszeiten. Wir heizen im Winter wenig („Temperaturunterschiede als Stimulans“) und gehen früher ins Bett. Gott gewährt uns eine verlängerte Nacht. Im Frühling richten wir uns neu ein. Im Sommer halten wir uns oft im Garten auf. Im Herbst gehen wir als Familie in den Urlaub auf einen abgelegenen Bauernhof. Die Geburtstage, die christlichen Festtage und andere Anlässe planen wir bewusst als Unterbrüche. So wie Gott seinem Volk Israels feste Zeiten unter dem Jahr gab (3. Mose 23; 3. Mose 25).

Es gibt zwei „Tools“, die ich zudem regelmäßig nütze.

Das erste ist mein Tage- bzw. Lebensbuch. Dieses Buch begleitet mich durchs gesamte Jahr an alle möglichen Orte. Ich schränke mich nicht ein, was darin notiert werden soll. Es sind Notizen für Blogposts, Veranstaltungen, Predigten. Es geht um Rückmeldungen in der Familie und von Freunden. Ich schreibe mit Bleistift oder Tinte. Interessanterweise gehe ich wöchentlich mehrere Male zu alten Tagebüchern, um Dinge nachzuschauen. Das Auffinden geht schnell, weil die Bücher nach Jahren geordnet sind.

Das zweite, ausbaufähige Tool ist meine Gebetslandkarte. In einer Art Mindmap liste ich die verschiedenen Bereiche für Lob und Fürbitte auf. Besonders erfreut bin ich über die Rubrik „Gotteslob“. Seit Jahren streiche ich alle Stellen in der Bibel, in denen Gottes Wesen und seine Taten erläutert werden, mit blauer Farbe an. Daraus ergibt sich eine Fülle von Anregungen für die Anbetung. (Ein Ausfluss davon ist eine Vorlesungsreihe über die Gotteslehre, die ich im April 2019 in Gießen halten werde.)

Du beklagst bei Heranwachsenden Passivität. Kann es nicht auch Ablenkung oder fehlende Organisation sein? Zum Beispiel. Person A: „Ich komme auf dich zu, du musst mir unbedingt die Bilder vom Urlaub zeigen“ Das auf-mich-zu-Kommen bleibt aus.

Nein. Hier antworte ich sehr entschieden. Man muss viel weiter vorne ansetzen. Es beginnt mit unserer Ausrichtung auf Gott und der Entdeckung unserer eigenen Götzen. Daraus ergeben sich erst meine Gewohnheiten. Gott hat uns so geschaffen, dass 99 % aller täglichen Verrichtungen automatisch ablaufen. Für die Änderung kleiner Verrichtungen brauchen wir Wochen bzw. hunderte Male für die Einübung. Unsere Gewohnheiten folgen unseren Prioritäten und diese zeigen, wer unser Gott ist.

Ablenkung ist eine Folge des Sinnvakuums, wie dies der säkulare (theistische) Psychologe Viktor Frankl (1905-1997) sehr gut aufgezeigt hat. Wer nicht weiß, wofür bzw. für wen er lebt, der betäubt sich. Eine Form dieser Ablenkung sind die Drogen, eine andere die Askese. Ihren häufigsten Ausdruck findet sie in der Ausschüttung körpereigener Drogen durch Extremsport. Eine ebenso häufige Spielart ist die Betäubung durch soziale Medien und Spiele („Brief an einen Dauerzocker“). Wer mehr zu diesem Thema erfahren will, der lese in diesem Überblick zu Frankls Werk.

Fehlende Organisation ist die Folge schlechter Gewohnheiten. Wer in den Tag hineinlebt, hat untergründig schon resigniert. Ein typisches Anzeichen dafür ist beispielsweise die Antwort anfangs Jahr: „Ich habe keine Vorsätze mehr.“ Ich antworte: Schade!

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