Die Frage der Gemeindestruktur ist für jede Ortsgemeinde relevant. Wer erfüllt welche Aufgaben? Wem stehen welche Aufgaben zu? Gibt es Aufgaben(bereiche), die ganz bestimmten Gruppen vorbehalten sind? Welche Rolle spielen Älteste, Pastoren und Diakone? In jeder Gemeinde kommen Fragen dieser Art auf: Wer darf das Abendmahl durchführen? Wer darf taufen? Wer darf trauen? Dabei ist es wichtig, eine biblische Ausgewogenheit zu bewahren.
In russlanddeutschen Gemeinden kommt es zuweilen zu Tendenzen, die dem (oder den) Gemeindeältesten fast päpstliche Autorität zusprechen. Man hält dann diese Brüder für so sehr vom Heiligen Geist gesalbt und begnadigt, dass Widerspruch (oder auch nur Rückfragen) sofort als „rebellisch“ und „ungeistlich“ abgetan wird (Helmut hat sich hier mit diesen Fragen auseinandergesetzt). Damit verbunden ist auch die Sicht, dass der Akt des „Einsegnens“ (des „Händeauflegens“) als Beglaubigung für das Ausführen bestimmter Aufgaben (wie z.B. der Durchführung des Abendmahls und der Taufe) notwendig ist.
Diese Fragen sind nicht neu, schon Charles H. Spurgeon hatte damit zu tun. Ich habe zwei Passagen aus seiner Schrift „Ordination und religiöse Titel“ (eher frei) übersetzt. Dazu ist vielleicht zu sagen, dass Spurgeon aus der Sicht eines Pastors schreibt; in russlanddeutschen Gemeinden wäre das Äquivalent zum Pastor der Gemeindeälteste, der vom Bruderrat (also weiteren Ältesten, die aber nicht unbedingt „eingesegnet“ sind) unterstützt wird; auch Diakone sind in russlanddeutschen Gemeinden häufig im Bruderrat vertreten. Ich habe erklärende Hinweise in eckigen Klammern der Übersetzung hinzugefügt.
Spurgeon spricht zunächst die Durchführung des Abendmahls an:
Diese von uns erwähnte kleine Sache führt zu einer anderen, die keineswegs klein ist; nämlich die Meinung mancher Gemeinden, dass nur ein ordinierter oder anerkannter Geistlicher [Ältester] dem Tisch des Herrn vorstehen darf. Klein ist unsere Geduld mit diesem totalen Papismus [abwertend gegen die Katholische Kirche gemeint]; und doch ist dieser keineswegs ungewöhnlich. Kanzeln, die an anderen Sonntagen sehr effektiv von Männern ohne pastorales Amt bestückt sind, müssen am ersten Sonntag des Monats von ihnen gemieden werden, weil die Freunde einen festgelegten Geistlichen wünschen, um das Abendmahl abzuhalten. Vielleicht wird das nicht immer mit solchen Worten gesagt, doch es wird oft gesagt; und es ist ein ungeheiligter Jargon, der den Einfluss von Pfaffenlist geoffenbart. Woher kommt dies? Welche Schrift könnte dieses rechtfertigen? „Und brachen das Brot hier und dort in den Häusern“ klingt nicht danach. Wir nehmen an, dass der Gedanke, ein Diakon würde das Abendmahl durchführen, viele schockieren würde; doch warum? Wenn die Gemeinde einen ehrenhaften Bruder dazu anhalten würde, den Gottesdienst durchzuführen, einen Bruder voller Gnade und Gebet, würde dann die Ausführung weniger belehrend oder tröstend sein, weil er nicht im [eingesegneten] Dienst war? Natürlicherweise leitet der Pastor [Älteste], wenn einer da ist, mit der respektvollen Zustimmung aller; aber würde Gemeinschaft mit Jesus schwieriger sein, wenn er fort wäre, und ein Ältester oder Diakon seinen Platz einnehmen würde? Unsere Erfahrung hat es uns niemals bejammern lassen, was unsere Leute betrifft, dass das Abendmahl ein entstellter Ritus war, wenn ein geliebter Diakon oder Ältester unseren [Spurgeon schreibt als Pastor/Ältester] Platz eingenommen hat. Wir lieben es, unsere Brüder mit uns am Tisch sitzen zu haben, die genau wie wir das Brot brechen, und genau wie wir laut danksagen; denn wir hoffen, dass durch dieses sichtbare Zeichen die Menschen sehen werden, dass „einer unser Herr ist, Christus, und wir alle sind Brüder“. Sind wir darum von den Dienern unserer Gemeinde weniger respektiert? Werden sie arrogant? Das Gegenteil ist der Fall. Ein geliebtere und liebenswürdigere Gruppe von Männern hat den Pastor nicht umgeben. Wir ehren unser Amt dann am besten, wenn wir es nicht über die Lehren des Herrn hinaus ehren.
Weiter geht es dann auch um die Taufe:
Aber wir üben Nachsicht und wechseln das Thema. Es ist nur natürlich, dass unsere Freunde wünschen, von ihrem Diener [Ältesten] getauft zu werden; und doch gibt es keinen Grund, dass er es aufgrund seines Amtes tun sollte [d.h. das Durchführen der Taufe ist nicht ausschließlich an das Amt des Ältesten gebunden]. Es scheint von der Schrift nicht so, dass es sich hierbei um einen Akt handelt, der den Predigern vorbehalten ist; tatsächlich wurde wenigstens einer von ihnen – und keineswegs der Geringste – nicht zum Taufen gesandt, sondern zum Predigen des Evangeliums. Einem starken Mitglied der Gemeinde ist der Platz im Taufwasser eher angemessen, als seinem kränklichen, alterndem, oder rheumakranken Pastor. Jeder Einwand, der hiergegen vorgebracht wird, ist ein anderes unbewusstes Vertrauen auf Tradition, wenn nicht ein Überbleibsel an Aberglaube. Die Nützlichkeit der Anordnung hängt nicht von dem Täufer, sondern von der gütigen Meditation und dem ernsten Gebet des Täuflings ab: Das Gut, welches er empfangen wird, hängt davon ab, wie weit seine Seele empfänglich ist für den göttlichen Einfluss; und in keinster Weise, Art oder Maß von dem, der die Taufe durchführt.
Hier geht es zum Original in englischer Sprache.