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Leben als Christ

Das Streben nach Mehr

Leseanlass: der Titel ließ mich aufhorchen, da ich ihn nicht einordnen konnte. Sollen wir nach Mehr streben oder ist das schlecht?

Worum geht es? In dem Buch von Paul Tripp geht es um das Reich Gottes. Doch es handelt sich nicht um eine systematische Theologie darüber, sondern ist ein einziges Nachdenken über die Aufforderung, „zuerst nach Gottes Reich zu trachten“ und was sie für uns bedeutet. Dabei ist es keine abgehobene philosophische Abhandlung:

„Der Austausch über dieses Leben im Reich Gottes, der dieses Buch umfasst, spielt sich nicht im Hörsaal einer theologischen Ausbildungsstätte ab. Ich werde Sie mit auf die Straße nehmen, wo Theorie auf Praxis trifft, wo Lehre zu Leben werden soll. Ich möchte Ihnen helfen, diesen Aufruf Christi praktisch auf Ihr Leben zu beziehen.“ (aus dem Vorwort)

Möchten Sie, dass Ihr Leben etwas bewegt? (Kapitel 1) Tripp zeigt zunächst auf, dass wir Menschen „auf Herrlichkeit angelegt“ sind. Wir alle würden nach dem Besonderen im Leben suchen. „Deshalb begeistern Sie sich für den Fallrückzieher, der im Tor des Gegners landet, für den in Handarbeit gefertigten Maßanzug oder für Ihre Lieblingstorte. Deswegen sind Sie von der Aussicht auf ein Bergmassiv oder vom Eindruck eines farbenfrohen Sonnenuntergangs so beeindruckt.“ (S. 22)

Oder streben wir nach der transzendenten Herrlichkeit Gottes? Wir sind für die Herrlichkeit unseres Schöpfers geschaffen. Deshalb können wir nur in der Gemeinschaft mit ihm das finden, wonach unser Herz sich sehnt. Weiter erklärt Tripp, dass wir zur Herrlichkeit des Verwalteramts, für die Herrlichkeit der Gemeinschaft und für die Herrlichkeit der Wahrheit erschaffen wurden. Inmitten dieser Ausführungen macht Tripp eine Pause, um zu verdeutlichen, was das für eine Relevanz für den Alltag hat. „Eine gefallene Welt übt einen großen Druck aus, unser Leben auf die Größe und Belange unseres Lebens einzuengen“. (28)

Haben Sie sich mit weniger zufrieden gegeben? Im zweiten Kapitel zeigt der Autor, dass wir uns schnell täuschen lassen. Wir meinen oft, wir würden uns nach “Mehr” ausstrecken, dabei ist es oft weniger als die Herrlichkeit, zu der wir berufen sind. Dies macht er am Beispiel Evas deutlich: Sie streckte sich nach „mehr“ aus: sein wie Gott; doch was sie bekam war weniger. Das Resultat war, dass sie von Gott und seiner Herrlichkeit getrennt wurde. Sie war bereit, so schreibt Tripp, „die Bedeutung ihres Lebens auf die Größe ihres eigenen Lebens zu reduzieren“. Etwas später beschreibt Tripp, dass die Versuchung im Garten eine Versuchung zur unabhängigen Herrlichkeit war. Es ging um Autonomie, darum, eigene Wege – und nicht Gottes Wege – zu gehen. Deshalb stellt er fest: „Seit diesem schrecklichen Moment im Garten tendiert jeder Mensch dazu, Autonomie mit Transzendenz zu verwechseln.“ (S. 52) In den weiteren Kapiteln im ersten Teil zeigt Tripp aus verschiedenen Blickwinkeln, wie es aussehen kann, dass man nicht für das Reich Gottes lebt. Es geht dabei um folgende Fragen:

  • Wollten Sie jemals … Gott sein?
  • Versuchen Sie, Ihr eigenes Reich aufzurichten?
  • Auf welche Arten versuchen Sie die Menschen um sich herum dazu zu bewegen, den Regeln des Reiches ihres ich zu folgen?
  • Wo machen Sie sich in ihrem derzeitigen Leben vor, für Gott zu leben, wo Sie doch in Wahrheit für sich selbst leben?

Ich habe diese Themen nie als langatmig oder redundant empfunden, sondern als erfrischend spannend und herausfordernd erhellend. Bei mir hat sich die Hoffnung des Autors erfüllt: „dass Sie sich zunächst etwas bedrängt fühlen, um recht bald ermutigt, begeistert und mit Hoffnung erfüllt zu werden“ (S. 10)

Im zweiten Teil, ab Seite 137 (das Buch hat 271), geht es darum, wie ein Christus-zentriertes Leben aussieht, wie ein Leben für das Reich Gottes aussieht. Dabei empfiehlt der Autor die Anwendung eines Prinzips aus Römer 11,36 auf alle Lebensbereiche: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ Christus muss Ursprung, Beweggrund, Ziel und Hoffnung unseres Lebens und jeden Bereichs sein. Wichtig ist aber, dass das Kreuz im Zentrum steht.

Wem empfehle ich das Buch? Jedem, der sich fragt, wie sein Leben Bedeutung erlangen kann.  Und jedem, der prüfen will, ob er bereits für Gott lebt. „Wir wurden geschaffen, um unsere Bedeutung, unsere Identität, unseren Lebenssinn in der Existenz, in dem Charakter und in den Absichten Gottes zu finden (S. 116).“

Ein paar Zitate aus dem Buch

Tripp diagnostiziert klar…

„Im Kern ist Sünde selbstzentriert. Sünde zieht einen jeden von uns vom großen Reich ab, hin zu dem kleinen Reich. Sünde führt dazu, dass mein Herz von persönlichen Wünschen und Gefühlen und Bedürfnissen beherrscht wird. Sünde verleitet mich dazu, die Regeln für mich selbst und andere aufzustellen.“ Seite 151

…und kommt immer wieder auf die Gnade, Hilfe und Hoffnung in Christus zu sprechen:

„Ja, für diesen Kampf gibt es Gnade! In der Person und dem Werk Jesu Christi hat Gott für Sie und mich hinreichend Vorsorge getroffen, um in diesem Konflikt der Königreiche zu bestehen.“ Seite 86

„Ihre und meine Hoffnung wird in keinem anderen Reich zu finden sein. Was wir alle so dringend nötig haben ist ein König, der uns von den Reichen befreit, die wir selbst erbauen. Und dieser König ist eben für Sie und für mich erschienen, und sein Name heißt Immanuel, der Herr Jesus Christus. Trachten Sie nach ihm! Bei ihm finden Sie die notwendige Hilfe!“  Seite 106

„Es ist ausschließlich die Liebe Christi, die die Macht besitzt, unsere hartnäckige Selbstliebe – die das Kennzeichen eines jeden Sünders ist – kampfunfähig zu machen. Und es ist nur die Gnade Jesu Christi, die die Kraft hat, eben diese Liebe in unseren Herzen zu wecken.“ Seite 136

Er schreibt nicht wie ein Lehrer, sondern wie einer, der selber kämpft und den Alltag kennt:

Ich weiß das alles [gemeint ist, dass es keine schlechteren Investitionen gibt als in sein eigenes kleines Reich], und doch kann ein ausgefallenes Essen mit meiner Frau so viel mehr den Anschein von wahren Leben erwecken als sein Geld für den Dienst im Reich Gottes zu geben. Und die Bestätigung durch einen Freund kann so viel mehr den Anschein erwecken, echtes Leben zu spenden, als die Liebe des Herrn.“ Seite 154

„Dinge, die so profan sind wie […] wer-darf-zuerst-ins-Badezimmer, wer-hat-was-mit-meiner-Zeitung-angestellt, wer-hat-den-Rest-des-Müslis-gegessen, etc. – in gewisser Hinsicht ja alles wichtig – können im Eifer des Gefechts geistlich gesehen ein gefährliches Bedeutungsniveau erreichen. Das sind Momente, in denen wir täglich leben.“ Seite 39

Über Menschen, die sich enttäuscht von Gott zeigten, schreibt er auf die Frage ob sie wirklich von Gott enttäuscht worden sind:

Nein, sondern alle waren enttäuscht, weil sie glaubten, dass Gottesliebe und die Prinzipien der Schrift zu gewissen Ergebnissen in ihrem Leben führen würden.“ Seite 100

Die Gefahr der Täuschung:

„Christentum ohne Christus? Bei vielen gibt es leider kein Platz für Christus in ihrer Christlichkeit. Ihr Glaube ruht tatsächlich nicht in Christus, sondern einfach in ihrem Christsein und ihrer eigenen Fähigkeit, eben dieses auszuleben.“ Seite 137

Worum geht es im großen Reich? Es geht darum, sich um Gottes Herrlichkeit zu drehen:

„Das große Reich ist von einer tiefen, dankbaren Liebe zu Gott gekennzeichnet, während das kleine Reich von Selbstliebe geprägt ist.“ Seite 167

„Es geht darum, sich mehr um die Ausbreitung seiner Gnade und seines Ruhmes zu kümmern als um unser nächstes Geschäft, unsere nächste Beförderung, als mein mustergültiges Vorzeigehaus oder den Spaß mit Freunden.“ Seite 169

„Sehen Sie, Gott hat in der Tat alle diese [materiellen] Dinge geschaffen. Und sie sind für dich gemeinten keineswegs böse. Doch sie existieren primär zur Verherrlichung Gottes und nachrangig für unseren Genuss.“ Seite 183

Zum Autor: Paul David Tripp gehört zu dem amerikanischen Netzwerk der biblischen Seelsorge (vgl. hier https://www.biblicalcounselingcoalition.org/person/paul-tripp/).

Äußerlicher Eindruck: ich fand das Schriftbild zunächst gewöhnungsbedürftig (sehr unterschiedliche Schriftarten in Titel, Untertitel und Eingangszitat und Hauptteil eines Kapitels), fand aber Frage und Fazit vor dem jeweiligen Kapitel sehr hilfreich. Das Buch führt im Anhang nur drei Quellen an, kommt also mit sehr wenig Zitaten und ähnlichem aus. Die Übersetzung von Mike Leister scheint mit sehr gut gelungen zu sein, zumindest ist die deutsche Sprache sehr schön und flüssig zu lesen. 

Fazit: Fängt man an, dieses Buch zu lesen, will man es gar nicht mehr aus der Hand legen. Es verändert vielleicht nicht das Leben, aber sicher die Perspektive auf das Leben und Bewertung des Lebens. Man bekommt einen Geschmack davon, wie schön es ist, sich auf Gottes Herrlichkeit auszurichten und dass es im Grunde nichts besseres gibt, als nach seinem Reich zu trachten.

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