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Jonathan Leeman: Gemeindezucht. Wie die Gemeinde den Namen Jesu ehrt und bewahrt

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Möchte man für ein neu auf den Markt kommendes Buch möglichst hohe Verkaufszahlen erzielen, ist ein guter, reißerischer Titel wesentlich, um die Aufmerksamkeit potentieller Leser zu gewinnen. Gemessen an seinem Titel wird das Buch Gemeindezucht von Jonathan Leeman, redaktioneller Leiter von 9Marks und Mitältester der Cheverly Baptist Church, deswegen sicherlich nicht zum Verkaufsschlager christlicher Literatur avancieren. Das sagt jedoch weder etwas über die Relevanz noch die Qualität des Buches aus. Vielmehr leisten Leeman und 9Marks mit diesem Buch einen wertvollen Beitrag zu einem wichtigen und gleichzeitig vernachlässigten Thema biblischer Ekklesiologie.

Die Grundlage – Das (vollständige) Evangelium

Leeman legt bereits (ungewöhnlicherweise) in seinem Vorwort die Grundlage, auf der sein Buch, aber auch das gesamte Konzept der Gemeindezucht aufbauen: ein vollständiges Verständnis des Evangeliums. Er stellt dabei zwei Versionen des Evangeliums (das Evangelium einer billigen und das der teuren Gnade) einander gegenüber und macht deutlich, dass unsere Einstellung zu Gemeindezucht und die Frage, ob wir diese praktizieren, entscheidend davon abhängen, welches Evangelium wir glauben: Predigen wir ein (unvollständiges) Evangelium der billigen Gnade, wird Gemeindezucht bei den Mitgliedern einer Ortsgemeinde auf Unverständnis und Empörung stoßen. Predigen wir hingegen ein Evangelium von der rettenden und verändernden Gnade, so ist Gemeindezucht ein Ausdruck der Liebe: der Liebe zu Gott, den Glaubensgeschwistern und der verlorenen Welt. Das Evangelium rettet nicht nur den Sünder, es verändert diesen auch und macht ihn zum Repräsentanten Jesu Christi auf Erden. Das bedeutet aber, dass ein für einen Christen (dauerhaft) unwürdiges Verhalten den Namen Jesu verunehrt. Das führt, wie Leeman immer wieder betont, zum Hauptzweck von Gemeindezucht: die Wahrung der Ehre Jesu Christi.

Ein theologischer Rahmen für Gemeindezucht

Von dieser Grundlage ausgehend gliedert sich das Buch in drei Teile: Im ersten und wichtigsten Teil (Kapitel 1-5) setzt Leeman den biblischen und theologischen Rahmen für Gemeindezucht. Dabei bezeichnet „Gemeindezucht“ im Kontext des Buches „korrektive“ (oder auch: formale) Gemeindezucht im Unterschied zu „formender“ (oder: informeller) Gemeindezucht, bei der sich die Gläubigen untereinander ermahnen und zurechtweisen. Leeman definiert formale Gemeindezucht so: „Im spezielleren, formaleren Sinn bedeutet Gemeindezucht der Ausschluss einer einzelnen Person von der Gemeindemitgliedschaft und der Teilnahme am Abendmahl“ (S.25). Durch das Abendmahl bestätigt die örtliche Gemeinde das Zeugnis eines einzelnen Gläubigen, Christ zu sein. Entsprechend entzieht sie diesem das Abendmahl, wenn sie das Bekenntnis nicht länger bestätigen kann. Nach diesen kurzen definitorischen Überlegungen analysiert Leeman, was das Neue Testament über Gemeindezucht sagt. Im Fokus stehen Jesu Aussagen in Matthäus 18 und die Ausführungen von Paulus in 1. Korinther 5. Von letzterer Textstelle ausgehend zeigt Leeman einen fünffachen Zweck von Gemeindezucht auf: Gemeindezucht soll (1) Sünde aufdecken, (2) die Gemeinde vor den Folgen der Sünde warnen, (3) den Betroffenen retten, (4) vor dem Ausbreiten der Sünde schützen und (5) ein gutes Zeugnis für Jesus abgeben, indem die Gemeinde ihrer Rolle als Salz und Licht der Welt entsprechend lebt.

Um einen theologischen Rahmen von Gemeindezucht zu erhalten, braucht es, so Leeman, ein richtiges Verständnis über das Evangelium, das Christsein, die Ortsgemeinde und Gemeindemitgliedschaft (Kapitel 2). Zentral ist hierbei die Rolle der Gemeinde: Sie hat von Gott die Autorität zugesprochen bekommen, die Schlüssel des Reiches Gottes zu verwalten. Sie bestätigt, ob jemand zum Reich Gottes dazugehört oder nicht (auch wenn sie niemals das Heil verleihen kann) und wacht über die Bürger des Reiches. Diese Schlüsselgewalt übt sie durch Taufe und Abendmahl aus. Der einzelne Gläubige ist dazu aufgefordert, sich im Gehorsam gegenüber Christus der Autorität einer Gemeinde zu unterstellen.

Die Aufseherrolle der Gemeinde definiert letztlich auch, wann Gemeindezucht notwendig ist (Kapitel 3). Dies ist immer dann erforderlich, wenn das Zeugnis eines Mitgliedes, Christ zu sein, nicht mehr glaubwürdig ist: „Formale Gemeindezucht ist die angemessene Vorgehensweise, wenn das Versagen eines Gemeindemitglieds, Jesus zu repräsentieren, so charakteristisch und gewohnheitsmäßig wird, dass die Gemeinde nicht länger davon ausgehen kann, dass diese Person noch Christ ist“. Dabei sind die Anzeichen der Umkehrbereitschaft der Person und Ausmaß und Schwere der Sünde gegeneinander abzuwägen und jeder einzelne Fall seelsorgerlich sensibel zu beurteilen.

Nützliche Hinweise für die Praxis

Im zweiten Teil (Kapitel 6-14) wendet Leeman den aufgezeichneten theologischen Rahmen auf eine Reihe (insgesamt neun, vielleicht eine Anspielung auf 9Marks) von Fallbeispielen an. Dabei sind alle Beispiele praxisnah in dem Sinne, dass sie im Grunde in jeder Ortsgemeinde vorkommen könnten. In der Behandlung der einzelnen Fälle folgt Leeman in der Regel dem Schema „Die Situation“, „Beurteilung der Sünde“, „Beurteilung der Umkehrbereitschaft“ und „Entscheidung“ der Gemeindeleiter zusammen mit der Gemeinde. Besonders interessant sind hierbei die Anregungen, wie mit einem „Passivmitglied“, das die Gemeindeversammlungen länger nicht mehr besucht, oder mit einer sich als Christ bezeichnenden Person, die ein spalterisches Verhalten offenbart, aber der Ortsgemeinde nicht offiziell angehört, umgegangen werden kann. Auch wenn die Fallbeispiele keine Handlungsanleitung für die konkrete Situation in der eigenen Gemeinde bieten, führen sie doch gut vor Augen, wie der allgemeine theologische Rahmen im Einzelfall angewendet werden sollte.

Der dritte Teil (Kapitel 15 und 16) zeichnet „Erste Schritte in die Praxis“ auf, die dabei helfen sollen, Gemeindezucht im Gemeindeleben zu etablieren, wenn dies noch nicht passiert ist. Zunächst sollte die Gemeinde über für Gemeindezucht grundlegende Themen wie Heiligung, Jüngerschaft, Gemeindemitgliedschaft und über Gemeindezucht selbst belehrt werden. Außerdem sollten die entsprechenden organisatorischen Strukturen geschaffen werden, ohne die Gemeindezucht nicht effektiv durchgeführt werden kann. Das Schlusskapitel und der Anhang ergänzen im Grunde die „ersten Schritte“ durch eine Checkliste für Gemeindeleiter und eine Liste typischer Fehler beim Thema Gemeindezucht.

Empfehlenswertes und handliches Grundlagenbuch

In vielen Gemeinden ist Gemeindezucht ein eher vernachlässigtes Thema. Wenn doch darüber geredet wird, dann meist mit einem leichten Unbehagen. Leeman versteht es, in einer leicht verständlichen und gut zu lesenden Art, dieses Unbehagen zu mindern. Zweifellos bleibt das Praktizieren von formaler Gemeindezucht ein äußerst schmerzvoller Prozess, sowohl für den Betroffenen als auch für die gesamte Gemeinde. Dennoch zeigt er überzeugend, dass Gemeindezucht nicht bloß ein notwendiges und deswegen pflichtbewusst auszuführendes Übel ist, sondern eine im Kern liebevolle Praxis: Es geht darum, dass die unbußfertige Person gewarnt und die Gläubigen geschützt, das Zeugnis vor der Welt gewahrt und der Name Jesu Christi geehrt werden. Jegliche Ausübung von formaler Gemeindezucht muss diese Ausdrücke der Liebe zum Ziel haben. Der theologische Rahmen, den Leeman im ersten Teil des Buches aufspannt, überzeugt dadurch, dass er alle relevanten neutestamentlichen Stellen heranzieht und zu einem sinnvollen Gesamtbild zusammenfügt. Dadurch wird einerseits einer allzu einfachen und legalistischen Vorgehensweise (nicht immer muss einfach Matthäus 18 Schritt für Schritt „abgearbeitet“ werden) vorgebeugt und andererseits Raum für einen biblischen und seelsorgerlich weisen Umgang geschaffen. Nebenbei bemerkt, wird beim Lesen des Buches deutlich, dass die „9Merkmale“ gesunder Gemeinden zusammenhängend sind: Biblische Gemeindezucht basiert auf der Verkündigung von Glauben und Buße (das Evangelium) und ist ohne eine biblische Gemeindeleitung und Gemeindemitgliedschaft gar nicht praktikabel. Dass Leeman bei seinen Ausführungen, insbesondere bei den Praxisbeispielen, immer eine kongregationalistisch strukturierte Gemeinde vor Augen hat, sollte der Leser im Hinterkopf behalten. In diesem Zusammenhang wird vielleicht mancher Leser Leemans Forderung einer formalen Gemeindemitgliedschaft und die starke Autorität der Kongregation kritisch betrachten. An der Allgemeingültigkeit seiner theologischen Analyse und der zentralen Schritte von Gemeindezucht ändert das jedoch nichts.

Auch wenn Gemeindezucht nicht in der Bestsellerliste christlicher Bücher auftauchen dürfte, sollte es von den Ältesten und Pastoren einer jeden bibeltreuen Gemeinde gelesen werden. Selbst wenn (formative und formale) Gemeindezucht bereits „erfolgreich“ in der eigenen Gemeinde praktiziert wird, überzeigt das Buch zum einen durch einen soliden theologischen Rahmen, bietet zum anderen aber auch wertvolle Praxisanregungen: Die verschiedenen Fallbeispiele zeigen vorbildlich auf, wie Gemeindeleiter in unterschiedlichen Situationen weise und auf biblischem Fundament handeln können. Auch für das „normale“ Gemeindemitglied ist die Lektüre des Buches sehr empfehlenswert. Denn nicht zuletzt geht es auch bei Gemeindezucht darum, dass die Liebe zur Gemeinde (und den einzelnen Geschwistern) gefördert und der Name Jesu geehrt und bewahrt wird.

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