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Bibel & Theologie

„Deshalb sind die Felder verdorrt, weil die Liebe erkaltet ist.“

Im Jahr 368 n. Chr. herrscht in der antiken Großstadt Caesarea und Umgebung in der heutigen Türkei Ausnahmezustand: Seit mehreren Monaten warten die Bewohner vergeblich auf Regen. Die Felder sind in Folge der andauernden Dürre ausgetrocknet, liegen brach. Die Ernte bleibt fast vollständig aus. Basilius, zu der Zeit Presbyter der Bischofskirche von Caesarea, beschreibt in einer Predigt die Situation in Anlehnung eines Ausspruches Jesu mit: „Der Arbeiter sind viele; aber die Ernte ist nicht einmal gering.“ Als wäre die Lage durch die Wetterverhältnisse nicht schon schlimm genug, verschärfen Wuchergeist und Gewinnstreben der Vermögenden die Hungersnot noch.

In seiner Predigt angesichts der sich entwickelnden „epidemischen“ Hungersnot geht Basilius auf die (geistlichen) Ursachen und den christlichen Umgang mit der Trockenheit und ihren Folgen ein. Die Predigt (die hier vollständig nachgelesen werden kann) kann auch dem mit der Covid19-Pandemie konfrontierten Leser einigen Gewinn bringen.

Die Notsituation

Basilius wählt die Situation des Volkes Israel zur Zeit des Propheten Amos als Einstieg: Dieser war damit beauftragt worden, dem Volk das Gericht Gottes anzukündigen. Amos‘ Wirken war für die Israeliten ein Ruf zur Umkehr. Leider war ihre Reaktion ein Verharren in den Sünden, sodass Gottes Gericht tatsächlich eintraf. „Möge dies Los nicht auch uns treffen […]. Möchte ich vielmehr ein geneigtes Ohr, ein folgsames Herz finden, das die Mahnungen in Einfalt hinnimmt“. So schlägt Basilius die Brücke in seine Zeit und zu seiner Zuhörerschaft und beschreibt dann mit sehr dramatischen und erschütternden Bildern die gegenwärtige Situation in der Stadt:

Die Landleute sitzen auf den Feldern, umfassen die Knie mit den Händen – das ist die Haltung der Trauernden –, beklagen ihre umsonst gebrachten Opfer, schauen schmerzbewegt auf ihre kleinen Kinder, bejammern und beweinen ihre Frauen, befühlen und betasten das dürre Kraut der Saaten und wehklagen wie Väter, die ihre Söhne in der Blüte der Jahre verloren haben.

Der Grund der Notsituation: Gericht und Prüfung Gottes

In dem Hauptteil der Predigt widmet sich der Kirchenvater der Frage nach dem „Warum“: Warum hat die Stadt solch ein Leid getroffen? Er gibt dafür zwei Gründe an: Zuallererst ist die Hungersnot in Basilius Augen ein Gericht Gottes. Sein Urteil ist eindeutig:

Wo liegt nun die Ursache für diese Unordnung und Verwirrung? Was sollen die neuen Verhältnisse? Forschen wir nach als vernünftige Wesen, besinnen wir uns als denkende Menschen! Lebt der nicht mehr, der alles regiert? Hat Gott, der erste Baumeister, auf sein Walten vergessen? Ist er seiner Macht und Kraft beraubt? Oder hat er wohl noch seine Kraft und seine Stärke, ist aber hartherzig geworden und hat seine große Güte und Sorge für uns in Menschenhaß verwandelt? […] Daher droht uns Gott mit dem gerechten Gerichte; darum tut er seine Hand nicht auf, weil wir uns der Bruderliebe verschlossen haben. Deshalb sind die Felder verdorrt, weil die Liebe erkaltet ist.

Der Grund für die Hungersnot liegt nach Basilius weder in der Machtlosigkeit noch in einem plötzlichen Sinneswandel Gottes, sondern in der fehlenden „Bruderliebe“, allgemeiner in der fehlenden praktischen Barmherzigkeit der Menschen. Statt nach Gott zu fragen und dem Mitmenschen in seiner Not zu helfen, jagen die Bewohner der Stadt dem Gelderwerb und Handel hinterher. Keiner scheint die Notwendigkeit zu sehen, Buße zu tun. Basilius sieht offensichtlich einen direkten Zusammenhang zwischen dem Leben der Menschen und der Ernte, wenn er schreibt:

Wer hat ein vaterloses Kind ernährt, damit uns jetzt Gott die Saaten nähre, die unter der Ungunst der Winde wie verwaist darniederliegen? Wer hat sich einer Witwe angenommen, die mit den Härten des Lebens zu kämpfen hat, damit ihm jetzt die nötige Nahrung zugemessen werde?

Die Hungersnot als Prüfung Gottes – neben seinem Gericht – ist für Basilius der zweite Grund für das Unheil:

Vielleicht darf man aber noch einen weiteren Grund hinzufügen: Manchmal kommen solche Heimsuchungen über die Menschen auch zur Prüfung der Seelen, damit im Unglück die guten erkannt werden, seien sie arm oder reich; denn die einen wie die andern bewähren sich erst recht in der Geduld.

In der Not zeigt sich schließlich, wie viel Wert der Glaube des Einzelnen tatsächlich hat:

Den Steuermann prüft und bewährt der Sturm, den Kämpfer der Ringplatz, den Feldherrn die Schlacht, den Mutigen das Unglück, den Christen aber die Versuchung. Trübsale bewähren die Seele wie Feuer das Gold.

Der richtige Umgang mit der Notsituation

Deswegen ist für den Gläubigen in dieser Situation die einzig richtige Reaktion: Dank zu sagen und im Vertrauen auf Gottes Fürsorge wohlzutun.

Bewahre in deiner Seele die Dankbarkeit als ein kostbares Kleinod, und du wirst für deine Dankbarkeit doppelten Lohn ernten. Erinnere dich des Apostelwortes: ‚Bei allem dankt!‘ […] Steh nicht an, von dem Wenigen zu geben, und zieh deinen Nutzen nicht der allgemeinen Gefährdung vor! Besteht dein Vorrat nur noch aus einem Brote, und steht ein Bettler vor deiner Türe, so hole dieses eine aus der Speisekammer, nimm es in die Hände, erheb’ es gen Himmel und sprich das mitleidsvolle, gütige Wort: ‚Dies eine Brot, das du siehst, o Herr, habe ich noch, und die Gefahr steht mir vor Augen; aber ich halte mir dein Gebot vor und will auch von dem Wenigen dem hungernden Bruder geben; gib nun auch du deinem gefährdeten Diener! Ich kenne deine Güte, vertraue auf deine Macht; du säumst nicht zu lange mit deinen Wohltaten, sondern streust die Gaben aus, wann du willst.‘ Und wenn du so redest und handelst, so wird das Brot, das du in der Not gibst, zum Samen der Aussaat, wird reiche Früchte tragen, ein Angeld auf deinen Unterhalt sein und dir Barmherzigkeit verschaffen.

Was sagt Basilius uns heute noch?

Es ist ermutigend zu sehen, dass alte Texte früherer Generationen von Gläubigen heute immer noch Relevanz haben und in gegenwärtige Situationen sprechen können. Beim Lesen der Predigt von Basilius sind mir drei Punkte aufgefallen, die einen Brückenschlag über knapp 1650 Jahre von der Situation, in der sich der Kirchenvater befand, in unsere unruhige Zeit bilden können:

  1. Notzeiten können Ausdruck von Gottes allgemeinem Gericht sein.

Für den heutigen Leser scheint dies befremdlich zu klingen. Allerdings knüpft Basilius in seinem Urteil nahtlos an biblische Traditionen an. Notzeiten im Volk Israel waren häufig Ausdruck von Gottes Gericht. Die neutestamentlichen Autoren gehen von der Historizität des Gerichtes Gottes durch die Sintflut aus. Petrus warnt die Irrlehrer in seinem zweiten Brief vor einem zukünftigen, die Erde umspannenden Gericht Gottes. Ohne in die gegenwärtige Debatte einsteigen zu wollen (und weit davon entfernt, wissenschaftlicher Ursachenforschung die Legitimität und Notwendigkeit abzusprechen): Pauschal zu behaupten, eine Pandemie könne heutzutage nicht mehr als Gericht Gottes angesehen werden, ist theologisch wohl kaum haltbar und kann dazu führen, dem Reden Gottes zu schnell das Ohr zu verschließen.

  1. Notzeiten sind für den Gläubigen fruchtbare Zeiten der Anfechtung.

Basilius schließt hier an Jakobus an, der uns zur Freude in der Anfechtung auffordert. Die Anfechtung ist nämlich Gottes Mittel, seine Kinder zu formen und zur vollkommenen Reife zu führen (vgl. Jak. 1,2-4). So wie die Hungersnot in Caesarea im Jahr 368 ist die Corona-Krise heute für viele Menschen herausfordernd, natürlich auch für Christen. Sie aber dürfen diese Zeit im Vertrauen auf ihren souveränen Gott als Chance begreifen, im Glauben zu wachsen.

  1. Notzeiten fordern den Gläubigen zum Gutes-tun auf.

In einer Hungersnot dem Bettelnden das letzte Stück Brot zu überlassen, ist weitaus herausfordernder als dem Nachbarn den Einkauf zu erledigen oder den Nächsten durch ein Telefonat zu ermutigen. Dennoch ist der Christ unabhängig vom Ausmaß dazu aufgefordert, „sich mit guten Werken hervorzutun“ (Tit. 3,8). Notzeiten schaffen häufig ganz neue Möglichkeiten, in diesem Sinne Gott zu ehren.

Vielleicht gibt die Corona-Pandemie dem ein oder anderen auch neu Muße, um in die Gedanken der Kirchenväter einzutauchen. Basilius der Große darf hierbei durchaus als Startpunkt gewählt werden.

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