In meinem gestrigen Beitrag habe ich auf eine Deutschlandfunk Kultur-Sendung verwiesen, die religiöse Themen und Motive in der amerikanischen Gegenwartsliteratur untersucht. Als Liebhaber der amerikanischen Literatur hat mich die Sendung sehr interessiert. Außerdem lese ich zurzeit einen, wie ich finde, wirklich großen amerikanischen Roman (und damit meine ich nicht nur den Umfang): Thomas Wolfes Of Time and the River. Ich möchte hier ein religiöses Thema teilen, das mir in diesem Roman begegnet ist und mich sehr beeindruckt hat.
Of Time and the River, bei dem es sich um einen autobiographischen Roman handelt, erzählt die Geschichte von Eugene Gant, der als junger Mann seine ländliche Heimat im amerikanischen Sünden verlässt, um in Harvard Literatur zu studieren. „Passieren“ tut in dem Roman – trotz seiner mehr als 1000 Seiten – eigentlich nicht viel: Nachdem Eugene in Harvard studiert hat, kehrt er kurz nach Hause zurück, geht dann nach New York, um dort an einer Uni Literatur zu unterrichten und befindet sich zurzeit, nach einem Aufenthalt in England, in Frankreich (das Ende kenne ich noch nicht).
Was den Roman – für mich – vor allem auszeichnet, ist seine grandiose Sprache und Wolfes Fähigkeit, ausgezeichnet und sehr genau zu beschreiben: den Tod von Eugenes Vater, die Einsamkeit des Lebens, oder auch einfach den Oktober, dem Wolfe ein ganz wunderbares Kapitel widmet. Vor allem wird ein gewisses Lebensgefühl vermittelt: Es geht um Zeit und Vergänglichkeit, die Lust und Freude der Jugend, aber auch um den Schmerz, der ja irgendwie doch auch immer dabei ist (manchmal lässt sich beides auch nicht wirklich auseinanderhalten). Eugene liebt vor allem die Literatur und ist dabei doch geplagt, weil er weiß, dass er niemals alles wird lesen, niemals alles wird wissen können. Und dabei muss er doch alles lesen, muss alles wissen und erlebt Momente, in denen er meint, dass das auch wirklich möglich ist – nur um dann vor der schieren Unmöglichkeit wieder eingeholt zu werden.
Ausführlich wird ein Wochenende beschrieben, das Eugene bei einem sehr reichen Freund verbringt. Von der ihm so ganz fremden Welt ist er zunächst unglaublich beeindruckt, ihm wird aber auch klar, dass es nicht seine Welt ist. Die letzte Nacht verbringt er in einer Bibliothek, in der alle großen Meister versammelt sind. Eugene ist geradezu berauscht von diesem Reichtum, die Stimmen der großen Literaten beginnen aus den Büchern zu ihm zu sprechen. Was Eugene dabei auffällt, ist, dass sich in die berauschende Freude eine gewisse Traurigkeit und Einsamkeit mischt, die eben auch herauszuhören ist: Was bringt es denn, scheinen die Stimmen zu fragen, dass wir zu den „Großen“ gehören? Gelesen werden wir doch kaum, stattdessen stehen wir hier zusammengepfercht im Regel eines Mannes, der uns nicht aufschlägt. Und auch Eugene ist ja nicht ewig. Die Vergänglichkeit tritt zutage, die Frage nach dem Sinn. Kann Literatur den am Ende womöglich auch nicht bieten? Das Kapitel endet mit folgendem Absatz (für diesen Beitrag zitiere ich aus der Übersetzung von Hans Schiebelhuth):
Gegen Morgen, als er, ein großes Buch auf den Knien aufgeschlagen, dasaß, eingedenk jener toten, vergeßnen, stillebenden Stimmen und seines reichen, jungen Freunds und jenes fremden und bittren Rätsels des schicksalhaften Getrenntseins gedachte, das, so schien ihm, am Tag zuvor eine große Tür zwischen ihren beiden Leben auf immer geschlossen hatte, da drehte er in Gedanken die Seiten herum, und plötzlich rückten die verschwommenen Lettern auf einer gerade aufgeschlagnen Seite leserlich in seinen Blick. Und was die Worte auf dieser aufgeschlagnen Seite sagten, war dies:
„Da sprach der Jüngling zu ihm: Das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf; was fehlet mir noch? Jesus sprach zu ihm: Willst Du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was Du hast, und gib’s den Armen, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach! Da der Jüngling das Wort hörte, ging er betrübt von ihm, denn er hatte viele Güter.“
Das Kapitel hat mich, wie bereits gesagt, tief beeindruckt. Was hülfe es dem Menschen, könnte man mit Jesus fragen, wenn er die ganze Literatur gewönne und nehme doch Schaden an seiner Seele? Das Ende dieses Kapitels erinnert an die Gefahr, sich von Jesus abzuwenden – „denn er hatte viele Bücher“. Besser ist es da, sich von den vielen Büchern zu Jesus treiben zu lassen.