Kategorien
Geschichte & Menschen

Die Lehren der Gnade – Eine Rezension

Was würdest du tun, wenn du weißt, du hättest nur noch wenige Monate zu leben? Ich weiß nicht, was ich tun würde. Als James Montgomery Boice in so eine Situation kam, als er eine Krebs-Diagnose erhielt, schrieb er Loblieder und arbeitete an dem Buch Die Lehren der Gnade. Er erlebte die Herausgabe des Buches nicht mehr, welches aber von seinem Mitarbeiter Philipp Graham Ryken fertiggestellt wurde.
Das Buch kommt einem Vermächtnis gleich, in dem die Autoren warnende und ermutigende Worte an die evangelikale Welt richten. Ihre These lautet: der Evangelikalismus steht oder fällt mit dem Calvinismus. Diese These haben sie allerdings von Benjamin Warfield, der diese Behauptung etwa ein Jahrhundert vorher aufstellte. Sicherlich enthält diese Behauptung zwei Etiketten, die von den Autoren Boice und Ryken folgendermaßen beschrieben werden.
Evangelikalismus meint „eine Gemeinde, die auf dem Evangelium gegründet ist, auf der frohen Botschaft des Heils durch Christi Tod und Auferstehung.“ (S.17), Calvinismus „die protestantische Reformation und ihren Nachdruck auf Rechtfertigung allein aus Gnade, allein durch Glauben und allein durch Christus.“ (ebd.) Auch wenn an einer anderen Stelle beschrieben wird, dass man lieber von „reformatorischer Theologie“ statt von „Calvinismus“ reden sollte, bleiben die Autoren im Laufe des Buches bei dem Begriff Calvinismus.
Ich hätte es persönlich besser gefunden, wenn man hier nicht immer den Begriff Calvinismus verwendet hätte. Aber ich bleibe bei meiner Rezension auch bei diesem Begriff, um den Autoren zu folgen.

Erster Teil

In dem ersten Kapitel wird beschrieben, warum der Evangelikalismus den Calvinismus braucht. Dabei wird zuerst die oben genannte These formuliert und entfaltet. Es wird klar, dass die Lehren der Gnade nötig sind, damit das Evangelium frohe Botschaft ist. Dafür muss es nämlich ein Evangelium der Gnade sein und es muss verkündigen, „was Gott zur Errettung von Sündern getan hat“ (ebd.). Es wird dann der historische Rahmen gezeichnet, vor dem die „fünf Punkte des Calvinismus“ entstanden. Die Autoren nennen und erörtern dabei zunächst die fünf Glaubensartikel, die die Theologie des niederländischen Professors Jakobus Arminius zusammenfassen und die von seinen Anhängern nach seinem Tod aufgestellt wurden. Diese Glaubensartikel hätten damals für große Kontroversen gesorgt. Eine Reaktion darauf waren die Lehrsätze, die häufig als die „fünf Punkte des Calvinismus“ bezeichnet werden und auch unter dem Akronym TULIP bekannt sind. Diese fünf Punkte fassen die Lehrregel von Dordrecht zusammen, die von internationalen Theologen als Antwort auf die arminianischen Glaubensartikel formuliert wurde.

Im zweiten Kapitel zeigen die Autoren den Einfluss in der Vergangenheit auf, wenn eine Gemeinde die Gnadenlehren verinnerlichten und in ihrer Verkündigung betonten. Dabei werden drei konkrete Beispiele angeführt: Calvins Genf, die Puritaner und die große Erweckung (Edwards, Whitefield). Es ist interessant zu sehen, was für ein positiver Einfluss von den Calvinisten ausging. Es wird aber deutlich, dass keineswegs alles perfekt war, weil auch negative Beispiele erwähnt werden. Zudem gehen die Autoren auch auf die aktuelle evangelikale Situation ein und warnen davor, sich von dem Calvinismus zu lösen. Die Geschichte würde zeigen, dass dieser Weg vom Calvinismus zum Liberalismus oder Atheismus oft über den Arminianismus führte.

Die Kapitel 1 und 2 bilden den ersten Teil des Buches, Kapitel 3-7 den zweiten Teil und Kapitel 8-9 den dritten Teil.

Zweiter Teil

Im zweiten Teil des Buches geht es um die „fünf Punkte des Calvinismus“. Diese werden im Buch folgendermaßen benannt.
1. Radikale Verdorbenheit
2. Bedingungslose Erwählung
3. Persönliche Sühne
4. Wirksame Gnade
5. Bewahrende Gnade
Der Aufbau der Kapitel 3-7 ist relativ ähnlich. Zunächst wird erklärt, was gemeint ist, dann gezeigt, was die Bibel dazu sagt und es wird auf Debatten oder Kontroversen aus der Vergangenheit eingegangen und schließlich wird gezeigt, welcher Nutzen / welche Wirkung die jeweiligen Lehren haben. Auch wenn der Untertitel des Buches „Eine Erklärung und Verteidigung der fünf Punkte des Calvinismus“ heißt, ist keine Kampfhaltung der Autoren zu bemerken, sondern Demut, denn es werden auch Bibelstellen genannt, die den Lehrpunkten zu widersprechen scheinen. Diese Probleme werden angeführt  und nicht immer völlig geklärt. Aber insgesamt ist ihre Argumentation sehr klar und überzeugend. An einer Stelle wurde bei einem Nebenthema aus meiner Sicht die arminianische Position nicht ganz korrekt dargestellt, aber ansonsten fand ich die Darstellung der gegnerischen Position sehr fair (möglicherweise würden das Arminianer nicht immer so sehen).
In manchen Kapiteln werden auch Themen angesprochen und erklärt, die sich nicht auf einen einzelnen Punkt beziehen und mehrere Punkte betreffen (z.B. die Heilsordnung in Kapitel 6 „Wirksame Gnade“). Die Autoren sind nämlich davon überzeugt, dass die fünf Punkte, obwohl sie einzeln betrachtet werden können, doch zusammen eine Einheit bilden:

„Die Gnadenlehren stehen oder fallen zusammen, und gemeinsam weisen sie auf eine zentrale Wahrheit hin: das Heil ist allein aus Gnade, weil es allein aus Gott ist; und weil es allein aus Gott ist, ist es allein zu seiner Ehre.“ (S.34)

Dritter Teil

In dem achten Kapitel geht es darum, was einen wahren Calvinisten auszeichnet. Manchmal treten Calvinisten sehr überheblich und aggressiv auf. Das widerspricht aber zutiefst den Lehren der Gnade. Demut benennen die Autoren als eine der Haupttugenden des Calvinismus. „Wer ein Anliegen für die Herrlichkeit Gottes hat, muss sich für die gesunde Lehre in aller Demut einsetzen.“ (S.224). Wer die Lehren der Gnade verinnerlicht hat, wird demütig, weil er von seiner Abhängigkeit Gott und seiner Gnade gegenüber bewusst ist. Er wird sein Denken von der Wahrheit des Evangeliums erleuchten lassen und damit Gott im Zentrum haben, er wird ein bußfertiges und dankbares Herz haben. Er wird die Herrlichkeit Gottes zum Ziel seines Lebens machen, indem er das Evangelium verbreitet und sein Leben Gottes Willen unterstellt.
Das letzte Kapitel heißt Calvinismus in der Praxis. Darin wird beschrieben, wie die Gnade die Herzen von Christen erwärmen kann und sie zum Dienst ausrüstet. Insbesondere werden Barmherzigkeit und Evangelisation als Mittel genannt, mit denen Christen Gnade erweisen können. Das Wissen um Gottes Souveränität und Gnade motiviert zu Beharrlichkeit in Evangelisation und zu Weitherzigkeit im Dienst an Bedürftigen. Der Dienst und das ganze Leben werden vom Gebet getragen. Im Gebet wird die Abhängigkeit von Gott deutlich.

Fazit

Das Buch ist eine großartige Einführung in die reformierte Heilslehre und sehr zu empfehlen. Ich habe das Buch im Urlaub innerhalb von zwei Tagen durchgelesen, da es sich sehr gut liest.
Sinclair B. Ferguson begann seine Vorlesung über den Heiligen Geist mit den folgenden Worten:
„Das Ziel der Theologie ist die Anbetung Gottes. Die Körperhaltung der Theologie ist auf den Knien. Die Praxis der Theologie ist Busse.“ Die Lehren der Gnade scheinen mir eine gute Hilfe zu sein, um die von Ferguson genannten Richtlinien einzuhalten.
Das folgende Zitat bringt die reformierte Lehre gut auf den Punkt und setzt diese in Bezug zu dem dreieinigen Gott:

„Die Erwählung ist der Entschluss des Vaters. Die Sühne ist das Opfer des Sohnes. Die Gnade, die uns zu Christus zieht und uns befähigt, bis zum Ende durchzuhalten, ist das Werk des Heiligen Geistes. Somit ist das Heil allein Gottes Werk, von Anfang bis zum Ende – das konzentrierte Werk des dreieinigen Gottes. Und das muss es auch sein, wenn wir errettet werden sollen.“ (S.34)

Kommentar verfassen