Und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen.
Matthäus 6,13a
Diese Stelle ist Ende letzten Jahres in den Fokus der Weltöffentlichkeit geraten, als der Papst für eine Änderung dieser Aussage eingetreten ist, da er es für „keine gute Übersetzung“ hält. Sein Argument: Gott könne gar nicht in Versuchung führen. Derjenige der uns versucht, ist Satan. Ein Vater lasse einen nicht fallen, sondern hilft vielmehr, sofort wieder aufzustehen. Daher wäre die Formulierung „Lass uns nicht in Versuchung geraten“ die bessere Übersetzung – in katholischen Gottesdiensten in Frankreich wird dieses schon praktiziert.
Dieser Vorschlag stieß auch auf Kritik – der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer meinte, es gehe nicht an, Jesus zu korrigieren, zudem seien die Worte „Und führe uns nicht in Versuchung“ biblisch überliefert.
Aber auch schon bevor der Papst diese Debatte losgetreten hatte, hat diese Stelle vielen Christen Kopfzerbrechen bereitet und es drängen sich (kritische) Fragen auf wie: Führt Gott seine Kinder wirklich in Versuchung? Ist das nicht ein Widerspruch zu Jak. 1,13? Wird hier nicht das Gottesbild von einem vollkommen guten und sündlosen Gott angekratzt? Können wir das überhaupt so beten? Um Jesu Aussage besser verstehen zu können, muss man zuerst klären, welche Bedeutung das Wort Versuchung (griech.: peirasmos) in der Bibel hat.
Die eine, sehr geläufige Bedeutung meint: zu Fall bringen; Versuchung zur Sünde. In diesem Sinne steht es vor allem mit Satan in Verbindung, der auch „der Versucher“ genannt wird (Matth. 4,3). Indem er Gott und sein Wort in Frage stellt und unseren Blick auf das richtet, was uns scheinbar fehlt, weckt er in uns die Begierde, die ihre Erfüllung in der Welt sucht, wo die Fleischeslust, die Augenlust und der Hochmut des Lebens vorherrschen (1. Joh. 2,16) – auf diese Weise versucht er uns uns zur Sünde.
„Versuchung“ wird aber nie in diesem Sinne von Gott ausgesagt – und das ist der Gedankengang von Jak. 1,13. Gott ist unversuchbar, d.h. er ist unerreichbar für das Böse. Er ist vollkommen heilig, rein und gut und das Böse kann ihn nicht mal ansatzweise dazu bringen, entgegen seines vollkommenen Wesens zu handeln. Und daher kann er auch nicht versuchen zum Bösen!
Aber genau dieses Wort kann auch die Bedeutung „auf die Probe stellen“; „prüfen“ haben, um nämlich das Gute zu fördern und ans Licht zu bringen, als Mittel des Trainings, um die Ausdauer und Erfahrung zu stärken (wie ein Muskel der trainiert wird) – in diesem Sinne wird es in Bezug auf Gott und Jesus verwendet. Ein Beispiel dafür ist Abraham: Als Gott ihn aufforderte (versuchte, s. Hebr. 11,17) seinen Sohn zu opfern, war es nicht seine Absicht, ihn zur Sünde zu verleiten, sondern vielmehr das Vertrauen in seine Verheißungen zu stärken. Abraham bestand diese Prüfung. Auf der anderen Seite hätte er die Situation aber auch nur aus seiner kleinen, beschränkten menschlichen Sicht betrachten und so an Gott verzweifeln und ihm ungehorsam sein können – dann hätte er gesündigt. Hiob, Philippus (Joh. 6,6), Petrus oder Paulus mit seinem „Pfahl im Fleisch“ sind weitere Beispiele. Gott versucht daher seine Kinder nicht zur Sünde, aber er lässt es manchmal in seiner ihm eigenen Weisheit zu, dass wir in Situationen kommen, in denen unser Glaube geprüft und herausgefordert wird. Die Übersetzung ist also gut so und bedarf keines „Updates“.
Diese beiden Bitten aus Matthäus 6,13 machen uns nämlich wie ich finde zweierlei bewusst: Erstere macht uns deutlich, dass wir abhängig und anfällig sind (führe uns nicht in Versuchung), die zweite ruft uns Gottes überragende Macht in Erinnerung (errette uns von dem Bösen).
Man kann sich jetzt die Frage stellen: Warum sollen wir also „Führe uns nicht in Versuchung“ beten, wenn doch Gott durch diese Prüfungen die Festigkeit unseres Glaubens bewirken möchte? Weil wir – im Gegensatz zu Gott – alles andere als unversuchbar sind! Unser anfälliges, sündiges und schwaches Herz sieht in den Prüfungen Gottes oftmals vielmehr Grund zum Misstrauen und zur Auflehnung Gott und seinen Geboten gegenüber und so sündigen und versagen wir. Ich denke Jesus will uns hier für unsere Anfälligkeit und Abhängigkeit sensibilisieren – sei dir bewusst, dass du total für die Sünde anfällig (versuchbar) bist. Deshalb dürfen und sollen wir bitten, dass Gott uns nicht in Versuchung führt (Lk. 22,40). Das ist die richtige Haltung eines Christen, der verstanden hat, dass in ihm nichts Gutes ist. Oder noch treffender formuliert:
„Diese Bitte drückt den Wunsch des Christen aus, die Gefahren der Sünde überhaupt zu meiden.“
John MacArthur
In diesen Prüfungen begegnen wir nämlich auch „dem Bösen“, der uns von Gott wegbringen möchte. Und so sollen wir auch bitten: „Sondern errette uns von dem Bösen“ – wir sind total von Gott abhängig. Das Wunderbare ist: Wir können diese Bitte voller Zuversicht beten, weil Gott alle Macht hat. Diese beiden Bitten sind entgegengesetzt formuliert, zielen aber auf das Gleiche ab: Bewahrung vor Situationen, in dem wir dem Bösen ausgesetzt sind und in der Gefahr stehen, zu sündigen. (Das griech. Wort für „erretten“ ist noch viel stärker: Es meint „wegziehen“ oder „herausziehen).
Und da Gott wie schon erwähnt alle Macht hat, ist er auch fähig, uns vor solchen Situationen zu bewahren (oder eben auch aus den Versuchungen heraus zu ziehen) – daher können wir diese Bitte mit voller Gewissheit beten.
Und das sei hier noch kurz erwähnt: Diese Gewissheit taucht an mehreren Stellen der Schrift auf, bspw. in der Fürbitte unseres HERRN für Petrus („ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre“). Jesu Gebet in Joh. 17, sein Amt als Hohepriester (siehe dazu Hebr. 4 & 7) oder Bibelstellen wie 1. Kor. 10,13; 2. Thess. 3,3 sind weitere Belege hierfür und geben uns den unsagbaren Trost, dass Gott das Böse nicht über seine Kinder triumphieren lassen wird. Wir gehen dem herrlichen Tag entgegen, wo Gott uns ein für allemal von dem Bösen befreien wird. Und so können wir uns dann auch sogar – wenn wir doch in der Versuchung sind – nach Jakobus 1,2 freuen, weil unser Glaube geprüft wird, das ist kein Widerspruch. Doch die richtige Haltung ist zuerst die, dass wir uns bewusst machen, dass wir anfällig und von Gott abhängig sind.
Wann hast du das letzte Mal diese Zeilen (so oder in einem ähnlichen Wortlaut) bewusst gebetet? Ich habe gemerkt, dass ich oft mit einer geistlichen Selbstzufriedenheit in den Tag hinein lebe und dann in entscheidenden Momenten nicht gewappnet bin. Paulus schreibt an einer Stelle: „Wer da meint zu stehen, sehe zu, dass er nicht falle!“ Die Fragen, die wir uns aufgrund dieses Verses wirklich stellen sollten, sollten vielmehr kritischer Natur uns gegenüber sein: Bist du dir darüber im Klaren, dass der Kampf mit der Sünde ein realer Kampf ist und du aufgrund deiner Anfälligkeit für Sünde sehr herausgefordert bist? Gehst du leichtfertig mit deiner Versuchbarkeit um oder flüchtest du dich in die Abhängigkeit von Gott und vertraust auf seine Macht?
Unser HERR lehrte uns auch diesen Teil des Gebets, daher sollten wir ihn auch zu unserem persönlichen Gebet machen. In diesen Bitten steckt ein demütigendes Eingeständnis – aber auch ein sehr großer Trost.