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„Den Leib bezwingen“ – Gedanken der Kirchenväter zum Fasten

Nachdem ich in dem letzten Beitrag mit der „Bibliothek der Kirchenväter im Internet“ ein Werkzeug zum Studium der alten Kirchenlehrer vorgestellt habe, möchte ich an dieser Stelle drei Kirchenväter zum Fasten zu Wort kommen lassen. Auf der Suche nach Aussagen zum Thema Armut und Armenfürsorge bin ich beim Lesen und Überfliegen der Kirchenvätertexte auch häufiger auf Aussagen zur Praxis des Fastens gestoßen. Mich beschlich der Eindruck, dass das Fasten für die frühe Kirche von weit größerer Bedeutung war, als ich es heute in meiner Gemeinde, aber auch in meinem weiteren evangelikalen Umfeld erlebe. Fasten ist hier häufig, wenn es überhaupt praktiziert wird, nur in Situationen besonderer Not innerhalb der Gemeinde oder im Leben Einzelner Thema. Insbesondere innerhalb der jüngeren Generation, der ich mich zugehörig fühle, scheint mir eine (unbewusste) Ignoranz gegenüber der Praxis des Fastens vorzuliegen, was wohl nicht zuletzt einem gesellschaftlichen Umfeld geschuldet ist, in dem Enthaltsamkeit nicht großgeschrieben wird. (Es bleibt abzuwarten, ob sich das im Zuge der Klimaschutzdebatten ändert.) Ich persönlich habe das Fasten selbst immer eher als eine Last und (manchmal) notwendiges Übel betrachtet.

In einem Beitrag, der schon einige Jahre zurückliegt, ist in diesem Blog schon einmal auf den Sinn und Nutzen des Fastens eingegangen worden. Der Leser, der sich (verständlicherweise) die Frage stellt, ob das Fasten nicht ein unnötiges Relikt vergangener Tage ist, sei deshalb auf jenen sehr wertvollen und, wie ich finde, überzeugenden Beitrag verwiesen. Ich möchte die dort geäußerten Gedanken derweil mit drei Zitaten unterstreichen. Beim Lesen der Zitate sollte man im Hinterkopf behalten, dass die Übersetzungen dem späten 19. Jahrhundert bzw. frühen 20. Jahrhundert entstammen und für ein katholisches Lesepublikum gedacht waren. Ein protestantischer Theologe hätte einige Begriffe sicher anders übersetzt. Nichtsdestotrotz bleibt für den reformierten Leser an einigen Stellen ein fader Beigeschmack, etwas Bitterkeit entsäuert aber bekanntlich den Magen. Nun also zu den Zitaten:

„Mit Recht nun gab unser Herr Jesus durch sein Fasten und seinen Wüstenaufenthalt eine Unterweisung wider die Lockungen der Genußsucht und ließ unser aller Herr sich vom Teufel versuchen, damit wir alle in ihm siegen lernten. Achten wir denn auf die drei Mittel, die der Herr nicht umsonst nach dem Berichte des Evangeliums in erster Linie anordnete. Drei Mittel sind es nämlich, die der Förderung des menschlichen Heiles dienen: Sakrament, Einsamkeit, Fasten. Denn „niemand wird ja gekrönt, der nicht ordnungsgemäß kämpft‟ [2Tim 2,5], niemand aber zum Tugendkampfe zugelassen, wenn er nicht zuvor von allen Sündenmakeln abgewaschen mit der himmlischen Gnadengabe hierzu eingeweiht wird.“

Dieses Zitat stammt aus dem Lukaskommentar von Ambrosius (339-397), Bischof von Mailand. Augustinus war in seinem Glauben als junger Mensch wesentlich von dessen Predigten beeinflusst und ließ sich schließlich auch 387 von ihm taufen. Ambrosius leitet aus der 40 tägigen Versuchung Jesu, drei Mittel zur „Förderung des menschlichen Heiles“ ab: Sakrament, Einsamkeit und Fasten. Mit dem Sakrament meint er hier die Taufe: Die Versuchung Jesu in der Wüste folgt in den Evangelienberichten unmittelbar auf seine Taufe. Auch wenn dies sicherlich keine vollständige Auflistung aller glaubensstärkender (so verstehe ich „Förderung des Heiles“ hier) Mittel und Segnungen ist – die Gemeinschaft der Gläubigen zählt hier z.B. auch zu – verleiht Ambrosius damit dem Fasten einen hohen Wert.

Während Ambrosius in der lateinischen Kirche im westlichen Teil des Römischen Reiches wirkt, beeindruckt ein Zeitgenosse im griechischen Osten seine Zuhörerschaft: Johannes von Antiochia (ca. 344-407), genannt Chrysostomos – „der Goldmund“. Bekannt vor allem für seine kraftvollen Predigten, in denen er vor Kritik an den Mächtigen in Kirche und Staat nicht zurückschreckt, schimmert in dem nachfolgenden Zitat aus seinen „Homilien über die Buße“ auch etwas von seinem Hang zur Askese durch:

„Aber fürchtet euch nicht, wenn ihr von der Fastenzeit hört, als wäre sie ein strenger Gebieter; denn nicht für uns ist sie furchtbar, sondern für die dämonischen Wesen. Denn wenn Jemand mondsüchtig ist [vgl. Mt 17,14], so zeige ihm nur das Antlitz eines Fastenden, er wird von Furcht erfaßt unbeweglicher als selbst Steine dastehen und als wäre er in Bande geschlagen, besonders, wenn er sieht, daß mit dem Fasten das Gebet sich verbindet als Schwester und Gefährtin. Deßwegen sagt auch Christus: „Diese Art wird nicht ausgetrieben, als durch Gebet und Fasten.“  Da also das Fasten die Feinde unseres Heiles so abwehrt, und sich die Widersacher unseres Lebens so sehr davor fürchten, so müssen wir dasselbe hochschätzen und lieben, nicht aber uns, davor scheuen. Denn wenn wir je Etwas fürchten müssen, so dürfen wir nicht das Fasten, sondern die Trunkenheit und Völlerei fürchten. Denn diese bindet uns die Hand auf den Rücken und überantwortet uns der Tyrannei der Laster, einer harten Herrin, und macht uns zu Sklaven und Gefangenen. Das Fasten hingegen, das uns als Gefangene und Sklaven vorfindet, löst uns die Bande, befreit uns von der Tyrannei und führt uns zur vorigen Freiheit zurück.“

Mit der Fastenzeit ist vermutlich die 40-tägige Vorbereitung auf das Osterfest gemeint, die sich schon früh in der Geschichte der Kirche zu einer besonderen Zeit der Meditation verbunden mit Fasten entwickelt. Chrysostomos betrachtet das Fasten als ein Mittel zur Freiheit, nicht als ein Ausdruck von Knechtschaft. Denn nicht der ist unfrei, der seinen Leib dem Fasten unterwirft, sondern derjenige, der von „Trunkenheit und Völlerei“ beherrscht wird – eine, wie ich finde, sehr spannende Beobachtung.

Ungefähr eine Generation später gibt Leo der Große (ca. 400-461), Bischof von Rom, in seinen „Predigten über das Fasten im Dezember“ Einblicke in die Fastenpraxis (vermutlich) der westlichen Kirche. Neben der Fastenzeit vor Ostern tritt das Fasten in der Vorweihnachtszeit, der Adventszeit. Außerdem werden die Tage Mittwoch (Tag des Verrats Judas) und Freitag (Tag der Kreuzigung des Herrn) als „klassische“ Fastentage erwähnt:

 „In drei Dingen offenbart sich vor allem gottgefälliges Handeln, im Beten, im Fasten und im Almosengeben. Zwar ist zu deren Übung jede Zeit geeignet, doch muß man die mit größerem Eifer beachten, die, wie wir wissen, durch die Überlieferungen der Apostel besonders dazu bestimmt ist. Demgemäß kehrt auch mit dem Dezember, in dem wir jetzt stehen, die seit langem geltende Anordnung wieder, jene drei Forderungen, von denen ich soeben sprach, noch fleißiger zu erfüllen. Denn durch das Gebet suchen wir eine Versöhnung mit Gott, durch das Fasten unterdrücken wir die Sinnlichkeit unseres Fleisches und durch Almosen kaufen wir uns von Sünden los. […] Durch das Gebet bleibt der Glaube unverfälscht, durch das Fasten das Leben makellos und durch das Geben von Almosen die Gesinnung mildtätig. Am Mittwoch und Freitag wollen wir uns also kasteien [d.h. fasten]!“

Dass das Almosengeben ein Mittel zum Loskauf von Sünden sei, ist aus evangelischer Sicht befremdlich und widerspricht der reformatorischen Erkenntnis von sola gratia und solus Christus. Leo scheint sich hier auf Daniel 4,24 zu beziehen, wo steht: „Darum, mein König, lass dir meinen Rat gefallen und mache dich los und ledig von deinen Sünden durch Gerechtigkeit und von deiner Missetat durch Wohltat an den Armen, so wird es dir lange wohlergehen.“ Im Bezug auf das Fasten ist auffallend, dass dieses als Mittel zur Unterdrückung der Begierden des Fleisches betrachtet wird – eine Sicht, die sich auch in dem Blogbeitrag von 2013 so ähnlich wiederfindet und die in unseren Tagen womöglich wieder neu bedacht werden müsste.

Abschließen möchte ich mit einem weiteren Zitat aus der zweiten Predigt Leos zum vorweihnachtlichen Fasten, das eindeutig in der Tradition von Jesaja 58 steht:

„Was könnte es wirksameres geben als das Fasten, durch dessen Beobachtung wir uns Gott nähern, dem Teufel widersagen und über alle lockenden Laster die Oberhand gewinnen! Stets holte sich die Tugend ihre Nahrung aus der Kasteiung. Enthaltsamkeit ist die Mutter züchtiger Gedanken, einer vernünftigen Willensrichtung und heilsamerer Ziele. Durch freiwillige Abtötung erstirbt die Lust des Fleisches und gewinnen die Tugenden neues Leben. Aber weil man das Heil seiner Seele nicht allein durch Fasten erreicht, so wollen wir unsere Entsagung auch noch durch Barmherzigkeit den Armen gegenüber ergänzen! Laßt uns auf die Ausübung dieser Tugend verwenden, was wir uns an Genüssen entziehen! Die Enthaltsamkeit des Fastenden werde zu einer Labung für den Bedrängten! Unser Eifer gelte dem Schutze der Witwen, dem Wohle der Waisen, der Tröstung der Betrübten und der Versöhnung der Entzweiten! Aufnahme finde der Fremdling, Hilfe der Unterdrückte, Kleidung der Nackte und liebevolle Pflege der Kranke! Dadurch soll ein jeder von uns, der Gott, dem Spender alles Guten, ein solch frommes Opfer an gerechten Werken dargebracht hat, würdig werden, von ihm auch den Lohn des Himmelreiches zu erlangen.“

Ich hoffe, dass diese kurzen Ausschnitte aus den Werken dreier Kirchenväter trotz einiger im eigentlichen Sinne des Wortes bedenklicher Aussagen Impulse geben, weiter über das Fasten in der christlichen Gemeinschaft und im eigenen Leben nachzudenken. Nutzt die Kommentarfunktion, um darüber zu berichten, wie ihr das Fasten erlebt habt, oder auch um die Aussagen alter Zeit neu zu kommentieren.

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