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Warum Romane lesen?

Romane müssen keine Zeitverschwendung sein. Sie bringen die Komplexität des menschlichen Lebens am besten zum Ausdruck und können unsere Theologie vertiefen.

Romane müssen keine Zeitverschwendung sein. Sie müssen uns nicht von Jesus wegtreiben, sondern können uns zu ihm hinführen. Deshalb möchte ich Harrys Aufruf wiederholen, „sich einmal an den ‚großen Romanen‘ zu versuchen“. Eine potentielle Liste, an der man sich fürs erste gut orientieren kann, hat Karen Swallow Prior hier vorgelegt.

Auch wenn man nicht bis ins Letzte rational begründen muss, warum man Romane lesen sollte – es gibt natürlich gute Gründe. Einen weiteren möchte ich hier kurz erläutern.

In einem neuen Buch des Philosophen Charles Taylor offenbart dieser dem Leser einen Einblick, welche Autoren und Bücher sein Denken stark beeinflusst haben. Es sind einige große literarische Werke dabei, u.a. Die Brüder Karamasow von Fjodor Dostojewski. Carl Trueman bemerkt in seiner Rezension von Taylors Buch, er habe schon oft darüber nachgedacht, literarische Werke sogar in einen Kurs über Systematische Theologie miteinzubeziehen. Warum? Weil, sagt er, Romane die Komplexität des menschlichen Lebens am besten zum Ausdruck bringen.

Der bekannte Seelsorger David Powlison hat deshalb gerne darauf hingewiesen, dass Pastoren und Seelsorger Werke wie Die Brüder Karamasow lesen sollten. Das Werk beschreibt verschiedene Seiten menschlicher Erfahrung wie Zorn, Scham, Angst, Leidenschaft, Schuld, Schamlosigkeit, Leiden, Kindesmissbrauch, Ehebruch und Versöhnung. Es tut dies in einer Tiefe, die man auf andere Weise kaum erreichen kann. Es reicht deshalb auch nicht, nach einer Zusammenfassung des Buches zu googeln. Die Erfahrungen und Charaktere entfalten nur im Gesamten ihre Wirkung.

Romane können unsere Theologie im besten Fall also vertiefen. Deshalb sollten Pastoren, Seelsorger und jeder Christ Romane nicht abtun, sondern zu einem solchen Werk greifen.

3 Antworten auf „Warum Romane lesen?“

Welche deutschen Romane wären denn mal auf so einer Liste – auch zeitgenössische?
Auf meiner wären z.B. „Effi Briest von Fontane“, die „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, „Unterleuten“ von Juli Zeh, um mal spontan drei zu nennen, die, denke ich, die Komplexität des Lebens abbilden.

Hallo Ruth! Wenn wir schon bei Fontane sind, wären „Der Stechlin“ als auch „Cécile“ lesenswerte Werke, die die Komplexität des Lebens abbilden. Auch seinen recht unbekannten Roman „Quit“, der ab der Mitte in einer mennonitischen Gemeinschaft spielt und den Umgang mit persönlicher Schuld verarbeitet, erfüllt das Kriterium. Weitere Werke: Kafkas „Der Process“ oder „Nachts unter einer steinernen Brücke“ (L. Perutz).

Schönen Gruß
Andy

PS: Ach, „Die Leiden des jungen Werthers“ (Goethe) habe ich vergessen. Ein Briefroman, dessen Schönheit ich erst bei der zweiten Lektüre im Studium erkannt habe. In der Schule war er mir eher eine Last.

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